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Der Aufstieg des Anti-Speziesismus in der anarchistischen Bewegung

BLITZ MOLOTOV XVX, 19.07.2019

CW: Speziesismus, Diskussion über Anti-Unterdrückung und verschiedene Formen der Unterdrückung

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[Anmerkung: Dies ist ein Artikel aus dem US-Kontext, der auch auf onveganwarfare veröffentlicht wurde. Obwohl wir mit vielen Inhalten übereinstimmen, möchten wir betonen, dass Anti-Speziesismus eine lang existierende Strömung im Anarchismus ist - von Elisee Reclus bis Louise Michel]

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Keine Verhandlungen mehr: Die Zeiten des liberalen Veganismus sind vorüber.

Vor etwa 40 Jahren waren Tierrechte ein Konzept, das von überzeugten Individuen unterstützt wurde, die ihr Mitgefühl ausdehnen wollten. Viele dieser Tierrechtsaktivist:innen lebten nicht einfach nur vegan - sie gingen auf die Strasse. Demonstrationen mit grossen, farbenfrohen Schilder, Unterschriften sammeln für Petitonen, Banner aufhängen und andere Taktiken wurden eingesetzt, um die Normalität der alltäglichen Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere zu durchbrechen. Viele dieser Taktiken dienten dazu, das Bewusstsein über die Grausamkeiten, die sich innerhalb von Schlachthöfen abspielt, zu erhöhen, in der Hoffnung, Empathie in der Bevölkerung zu erzeugen und landwirtschaftliche Reformen herbeizuführen. Im Laufe der Zeit, als immer mehr Menschen die Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere erkannten und sich dagegen aussprachen, begannen sich neue Taktiken, Ideen und sogar Bewegungen zu entwickeln.

Heute haben Unterschriftenaktionen und das Starten von Petitionen gegen die Ausbeutung von Tieren rasant abgenommen, da die früheren Versuche, Veränderung zu erzeugen, viele enttäuscht zurückgelassen haben. Weil die Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere trotz Abstimmungen und Petitionen nicht aufhörte, wendeten sich Aktivist:innen dem Untergrund zu und es entstanden radikale Gruppierung wie die Animal Liberation Front, die Animal Liberation Brigade, Animal Rights Militia, Revolutionary Cells und weitere. Viele vegane Liberale, die sich von Politikern und dem Staat im Stich gelassen fühlten, begannen allmählich, ihre politischen Ideologien zu überdenken.

Da ausserstaatliche Formen des Protests nun öfter mit dem Ziel eingesetzt wurden, selber gesellschaftliche Verbesserungen zu erzielen, wird die Tierrechtsbewegung heute allgemein als "Tierbefreiungsbewegung" bezeichnet. Diese Form der Selbstbestimmung im Aktivismus, die durch Einzelpersonen, Zellen oder Affinitätsgruppen durchgeführt wird, ist auch wegen ihrer erhöhten Effektivität ansprechender geworden. Das Unterzeichnen von Online-Petitionen beispielsweise, hat an Aktivität verloren, während die Unterstützung von politischen Gefangenen durch Spendensammlungen oder das Schreiben von Briefen an Inhaftierte an Beliebtheit gewonnen haben. Aktivist:innen, die sich früher nur an einem Anit-Unterdrückungsthema orientiert haben, haben begonnen, ihren Aktivismus zu diversifizieren, indem sie die Verbindung zu anderen sozialen Bewegungen wie der Öko-Verteidigung und der Dekolonisation suchen. Diese wachsende Solidarität und wechselseitige Hilfestellung hat in vielen aktivistischen Gemeinschaften neue Allianzen, kollektive Anstrengungen und neue Methoden der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen hervorgebracht. Die zunehmend radikalisierten Veganer:innen stellen eine Bedrohung für den Kapitalismus und den Staat dar. Heute haben viele einst verhandlungswillige Aktivist:innen neue Ansätze implementiert, die die Rechtmässigkeit oder Angebrachtheit von friedlichem Protest und politischen Reformen hinterfragen und herausfordern. Angesichts der Zunahme von Sachbeschädigungen, der Befreiung von nicht-menschlichen Tieren und der Wertschätzung direkter Aktionen war es keine Überraschung, als der Staat den AETA (Animal Enterprise Terrorism Act) konstruierte, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und das Wachstum radikalisierter Veganer:innen auszubremsen.

ANTI-SPECIESIST ANARCHISM. NONE ARE FREE UNTIL ALL ARE FREE.

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Menschliche Vorherrschaft und Speziesismus

Menschliche Vorherrschaft ist der Glaube, dass Menschen den anderen Tieren und der Erde überlegen sind und daher das Recht haben, sie zu dominieren. Diese Form der Diskriminierung und des Privilegs existierte auch in der anarchistischen Bewegung und hat eine Schlüsselrolle dabei gespielt, dass die Befreiung nicht-menschlicher Tiere und der Erde lange als sekundäre Anstrebungen aufgefasst wurden. Wie jede andere Vorherrschaftsideologie perpetuiert die menschliche Vorherrschaft Diskriminierung, Versklavung und Mord im Allgemeinen - und gegenüber nicht-menschlichen Tieren im Besonderen. Sie verkörpert eine ineinander greifende Kombination von Unterdrückungen, die sich in der dominierenden sozialen Beziehung der Menschen zueinander, zur Erde und zu anderen Tieren manifestiert. Ähnlich wie die weisse Vorherrschaft, die mit der Diskriminierung von BIPOC einhergeht und das Patriarchat, das die Diskriminierung von Frauen und anderen Nicht-Männern reproduziert, verweigert die menschliche Vorherrschaft nicht-menschlichen Tieren die gleiche moralische Rücksichtnahme und die Möglichkeit, ein Leben frei von menschlicher Kontrolle zu führen.

Genau wie der Rassismus und Sexismus stellt auch der Speziesismus eine irrationale Diskriminierung dar, nämlich die von nicht-menschlichen Tieren aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit. Anti-speziesistischer Anarchismus ist folglich eine anti-autoritäre Kampfansage an den menschlichen Vorherrschaftsglauben. Biozentrismus oder Tiefenökologie fordern die Umverteilung von Macht und Autonomie zu gleichen Teilen an alle fühlenden Wesen durch die Zerstörung des menschlichen moralischen Elitismus. Menschen haben die Ausbeutung von Nicht-Menschen im Allgemeinen durch ihre Kategorisierung als "Tiere" - und daher als rechtmässig unterworfen - gerechtfertigt. Heute haben viele vegane Anarchist:innen den Begriff "Tiere" durch "nicht-menschliche Tiere" oder einfach "andere Tiere" ersetzt. Dies dient dazu, nicht-menschliche Tiere von menschlichen Tieren zu unterscheiden, während gleichzeitig die gemeinsame Animalität von beiden hervorgehoben wird. Das Wort "Rechte" in Bezug auf nicht-menschliche Tiere wird weniger häufig verwendet. Da "Rechte" im politischen Kontext Erlaubnisse oder Privilegien implizieren, die vom Staat gewährt werden, empfinden Anti-Speziesisten diesen Begriff im Allgemeinen als unvereinbar mit autonomer Freiheit. Anti-Speziesismus als bedeutendes Element und Konzept im Kampf um Freiheit weitet sich aus, da die Intersektionalität aller Unterdrückungen an Anerkennung gewinnt.

(ASA argumentiert, dass Tiere von Natur aus moralische Rechte haben, aber ihre Grundrechte werden verletzt)

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Sich überschneidende Unterdrückungen

Intersektionalität ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie alle Formen der Unterdrückung, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf Rasse/Ethnizität, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Klasse, Spezies oder Behinderung, miteinander verbunden sind und wie Systeme diese "Überschneidung" mehrerer Formen der Diskriminierung widerspiegelen. Zum Beispiel nutzt der Kapitalismus den Speziesismus, um nicht-menschliche Tiere zu Waren zu degradieren und sie auf Produktions- und Kapitaleinheiten zu reduzieren. Der rechtliche Eigentumsstatus von nicht-menschlichen Tieren kann mit dem der versklavten Afrikaner:innen vor dem Bürgerkrieg verglichen werden. Die reproduktive Kontrolle von Menschen mit Gebärmutter spiegelt die reproduktive Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere wider. Anti-Kapitalist:innen, die die Zusammenhänge zwischen nicht-menschlichen Tieren und dem Kapitalismus erkannt haben, haben gesehen, dass eine solche Wechselwirkung die Antithese zur Freiheit ist und folglich abgeschafft werden muss. Der Verzehr nicht-menschlicher Tiere fördert die kapitalistische und vorherrschende Vorstellung, dass andere Tiere Nahrungsquellen sind und nicht empfindungsfähige Wesen, die ihr natürliches Recht auf Freiheit verdienen, wie es Menschen auch für sich selbst beanspruchen.

Kommunikation, Sprache und Symbolik tragen zur gegenseitigen Verstärkung aller Unterdrückungen bei. Da nicht-menschliche Tiere als minderwertig betrachtet werden, werden ihre Symbolik und Identitäten auf eine abwertende Art und Weise verwendet, um missliebige, unterdrückte oder unzivilisierte Menschen zu benennen. Zum Beispiel greifen einige der bekanntesten Verunglimpfungen gegenüber Frauen und nicht-binären Menschen ihr körperliches Aussehen an, die wiederum oftmals abschätzig auf nicht-menschliche Tiere referenzieren. Zusätzlich zur Herabwürdigung einzelner Frauen und nicht-binärer Menschen grenzen diese Beleidigungen auch ganze Spezies von nicht-menschlichen Tieren als Respekt verdienende Lebewesen aus. Der Hass und Speziesismus gegenüber Schweinen wird beispielsweise gefördert, wenn sie als herablassende Bezeichnung für Polizisten verwendet werden. In verschiedenen Kontexten werden Bezeichnungen von Schweinen, Kühen und Hunde als schmutzige, unsaubere, hässliche, nicht liebenswerte Wesen verwendet. Diese Vorstellungen dienen als Stereotypen und sollen ihre Ausbeutung entschuldigen und fördern. In den Augen eines Speziesisten dienen nicht-menschliche Tiere dazu, metaphorisch auf unterdrückte Menschen zu verweisen. Einige nicht-menschliche Tiere werden verwendet, um schwarze Menschen zu beleidigen (Affe, ape, coon usw.), andere Bezeichnungen von nicht-menschlichen Tieren werden auf die gleiche Weise herabwürdigend für Frauen verwendet (bitch, chick, cow usw.). BIPOC, die Gesetze brechen oder ihre Emotionen ausleben, werden oft mit Namen nicht-menschlicher Tiere betitelt, und Frauen und nicht-binäre Menschen, die ihre Frustration oder Wut ausleben, werden oft "bitch" genannt. Die Marginalisierung nicht-menschlicher Tiere ist eng mit der Unterdrückung dieser Menschen verwoben. Wenn man sie untersucht, sind die Mechanismen der Dominanz, Gewalt und Kontrolle dieselben.

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Jenseits von "Veganarchismus"; Anarchismus bedeutet totale Befreiung für alle

Der Begriff "Veganarchismus" hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, die wachsende Strömung des anti-speziesistischen Anarchismus vom traditionellen Anarchismus zu unterscheiden. Aber in dem Masse, wie die Befreiung der Erde und die der nicht-menschlichen Tiere Anerkennung im Anarchismus gewinnt, so wird die fortwährende Verwendung des Begriffs problematisch. Der Begriff "Veganarchismus" enthält nämlich eine falsche vorausgesetzte Division, die derzeit eben genau am schwinden ist. Er lenkt ausserdem mehr Aufmerksamkeit auf den Veganismus als eine Handlungsausübung als auf eine begründete Ideologie. Dies führt zu mehr Diskussion über den Veganismus als blosse Ernährungsweise, anstatt die Diskussion über die unterdrückerische Natur nicht-veganer Lebensweisen und Strukturen anzuregen. Speziesismus, menschliche Vorherrschaft und der Autoritarismus werden folglich weniger der Kritik ausgesetzt als der Veganismus selbst. Dies führt zu langwierigen Debatten darüber, ob der Veganismus klassistisch oder rassistisch ist. Während es ein häufiger Fehler von speziesistischen Anarchist:innen ist, dem Veganismus einen weissen Imperialismus aufzuerlegen (der BIPOC-Veganer:innen marginalisiert, indem er annimmt, dass weisse Menschen die einzigen sind, die sich mit tiefgreifender Ökologie, Gesundheit und der Befreiung nicht-menschlicher Tiere befassen), ist dieser Fehler fast unvermeidbar, wenn der Anwendungsbereich des Veganismus auf die westliche Kultur reduziert wird und nicht auf den globalen Anti-Kolonialismus. Anti-Speziesismus wird zunehmend als einhergehend mit Anti-Unterdrückung angesehen. Die Kombination von der Befreiung der Erde, nicht-menschlicher Tiere und des Menschen stellt den anarchistischen Kampf für die totale Befreiung aller dar.

Speziesismus wird in vielen anarchistischen Gemeinschaften immer noch weitgehend toleriert. Trotz der wachsenden Zahl anarchistischer Veganer:innen werden Speziesismus und die Vorherrschaft des Menschen immer noch als zweitrangige Probleme angesehen. Einige machen die Sprachbarriere zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren für diesen Mangel an Rücksichtnahme verantwortlich. Intelligenz, körperliche Einschränkungen und manchmal sogar die Infragestellung der Empfindungsfähigkeit nicht-menschlicher Tiere spielen alle eine Rolle in der speziesistischen Apologetik. Aber da immer mehr Anarchist:innen den Intersektionalismus und die Interdependenz aller Unterdrückungen anerkennen, wird der Veganismus als der logisch folgende Prozess angesehen, anti-speziesistisch zu sein. Anarchismus ohne Anti-Speziesismus lässt Raum für irrationale Diskriminierung, Herrschaft und Unterdrückung. Ausserdem lässt Anarchismus ohne Veganismus Raum für Patriarchat und Vergewaltigungskultur. Die Ausbeutung von Kühen für Kuhmilch oder diejenige der Hennen für Hühnereier ermöglicht die zwanghafte und sexuelle Ausbeutung von Gebärmutter-tragenden Individuen. Ohne totale Freiheit für alle bleibt Autorität und Unterdrückung über einige bestehen, die diejenigen begünstigen, die in einer Position der Macht und des Privilegs sind.

Mehr anarchistische Kollektive haben ihre Solidarität auf nicht-menschliche Tiere ausgedehnt, indem sie den Veganismus fördern, anti-speziesistische Räume eröffnen und sich gegen die Unterdrückung nicht-menschlicher Tiere aussprechen. Guerrilla Gardening, Community Gardening und Polykultur sind in vielen Anti-Unterdrückungs-Gemeinschaften auf dem Vormarsch, um Monokulturen und gentechnisch veränderte Lebensmittel zu ersetzen, die andere Länder mit der Industrialisierung und Umweltzerstörung kolonisieren. Trotz immer stärker werdender staatlicher Repression nimmt die Zerstörung von Eigentum, das der Befreiung nicht-menschlicher Tiere dient, allmählich zu. In Online-Foren und auf der Strasse erfährt der Speziesismus innerhalb der anarchistischen Gemeinschaft zunehmend konstruktive Kritik. Anti-Speziesismus bedeutet, soziale Interaktionen und Kommunikation zwischen allen Tieren - menschlichen und nicht-menschlichen gleichermassen - kritisch zu hinterfragen. Im Prozess der Beseitigung unterdrückerischer Sprache und Praktiken wird die Solidarität und der Respekt auf alle Unterdrückten ausgedehnt. Viele Anarchist:innen auf der ganzen Welt haben den Veganismus nicht nur als eine Praxis des gesunden Überlebens, sondern auch als eine Ausweitung der Solidarität über die speziesistischen Grenzen des menschlichen Kampfes hinaus angenommen. Heute kann man die Verschmelzung des anarchistischen anti-kapitalistischen/anti-faschistischen Kampfes mit der Tier- und Erdbefreiungsbewegung beobachten. Diese Kämpfe in Kombination stellen einen kompromisslosen Krieg gegen den Kapitalismus, den Staat, die Zivilisation und die Myriaden von kolonialer Unterdrückung dar.

  • BLITZ MOLOTOV XVX

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