Die speziesistische Linke
In diesem Artikel verwenden wir die folgenden Begriffe:
- Veganer:in/Anti-Speziesist:in - wird verwendet, um jemanden zu beschreiben, der glaubt, dass die Unterdrückung von nicht-menschlichen Tieren beendet werden muss und etwas gegen das unterdrückerische System unternimmt.
- TERFs und SWERFs - Akronyme für "trans-exclusionary radical feminists" und "sex worker exclusionary radical feminists". Damit werden Menschen bezeichnet, die versuchen, Trans-Frauen und Sexarbeiterinnen aus der feministischen Bewegung auszuschliessen und ihre Unterdrückung somit nicht beenden, sondern aufrechterhalten wollen.
- Die speziesistische Linke - Menschen, die sich als politisch links positionieren und im Allgemeinen gegen Unterdrückungssysteme vorgehen, obwohl sie in vielen Fällen Anti-Speziesismus in ihrer Arbeit ausschliessen.
- Menschliche Vormachtstellung - Menschen, die glauben, dass sie der zentrale und wichtigste Punkt im Universum sind, allen anderen empfindungsfähigen Wesen überlegen und von der Natur selbst losgelöst sind.
Hasst die speziesistische Linke Antispeziesist:innen? Schaffen problematische Menschen eine Barriere?
Ob die speziesistische Linke Antispeziesist:innen hasst oder nicht, spielt letztendlich keine Rolle. Antispeziesist:innen (Veganer:innen) sind keine Opfer; sie sind "Verbündete" oder Komplizen in der Befreiung nicht-menschlicher Tiere. Alle Antispeziesist:innen wurden wegen ihres Anti-Speziesismus (Veganismus) schon von Menschen aller politischen Richtungen beschimpft. Diejenigen, die auf Antispeziesist:innen losgehen, versuchen die Wirksamkeit oder Legitimität des Anti-Speziesismus zu untergraben oder zu "widerlegen" und ihn als eine lächerliche Bewegung darzustellen. Die Kommentare reichen dabei von der Behauptung, dass Menschen, die sich pflanzlich ernähren unmöglich überleben können, über das Belächeln des "Speziesismus"-Begriffs bis hin zu der Annahme, dass der Anti-Speziesismus für manche Menschen unzugänglich ist. Daher wird der Anti-Speziesismus von der speziesistischen Linke oftmals als eine ableistische/klassistische/rassistische Bewegung eingestuft und folglich nicht unterstützt. Obwohl solche Konfrontationen auf einer persönlichen Ebene frustrierend und ärgerlich sein können, wissen Anti-Speziesist:innen, dass sie sich nicht in den Mittelpunkt einer Bewegung stellen sollten, in der es nicht um sie geht: es ist eine Bewegung, die sich auf die Befreiung nicht-menschlicher Tiere konzentriert (aber nicht darauf beschränkt ist).
Wir erkennen an, dass viele problematische Gruppen im Anti-Speziesismus Raum einnehmen. Einige "Veganer" propagieren eine Kultur des Heroismus und des Rettertums, in deren Mittelpunkt menschliche Individuen, anstelle der nicht-menschlichen Tiere, gestellt werden. Sektenartige Organisationen und "weisser Veganismus" sind altbekannte Probleme innerhalb der veganen Mainstream-Bewegung. Einige "Veganer:innen" setzen sich nicht für die kollektive Befreiung aller empfindungsfähiger Lebewesen ein; sie sind damit einverstanden, marginalisierte Menschen auszugrenzen und zu unterdrücken, da ihre Bemühungen angeblich einzig und allein "für die Tiere" sind. Rassismus, Behindertenfeindlichkeit und Sexismus sind im Mainstream-"Veganismus" allgegenwärtig. Einige Veganer:innen handeln nicht einmal im besten Interesse der nicht-menschlichen Tiere, indem zum Beispiel die Idee aufrechterhalten wird, dass nicht-menschliche Tiere entweder metaphorisch, wörtlich oder politisch "stimmlos" ("voiceless") sind. Wieder andere, die sich als "vegan" identifizieren, stehen nicht einmal für die Emanzipation nicht-menschlicher Tiere ein und vertreten "welfaristische" Ansätze, die darauf abzielen, die Situation für versklavte nicht-menschliche Tiere zu "verbessern" - aber nicht darauf, sie ganz abzuschaffen (z.B. "Wenn die Tiere ein schönes Leben gehabt hätten, wäre ihre Ermordung akzeptabel").
ID: Eine (online kursierende) Illustration eines bekannten "Promi-Veganers", im religiösen Stil von Jesus Christus, mit Heiligenschein und Stigmata. Das Gesicht ist herausgeschnitten, weil es egal ist, um wen es sich genau handelt, weil irgendjemand immer in die Rolle des "Retters" gehoben wird, solange wir den Saviourismus nicht endgültig verabschieden. Rettertum (als Teil des Weissseins) ist Teil des Speziesismus; es hält ihn aktiv aufrecht.
Aber in allen Bewegungen existieren problematische Fraktionen - der Veganismus ist da keine Ausnahme. Selbst diejenigen, die ihr Bestes tun, um gegen Unterdrückung zu sein, lernen ständig dazu und machen Fehler. Es könnte sein, dass bestimmte Fraktionen innerhalb des Veganismus eine Barriere für die speziesistische Linke schaffen, weshalb diese sich nicht dem Kampf für Nicht-Menschen anzuschliessen versucht. Hier muss aber entgegen gehalten werden, dass die Abneigung gegen den Anti-Speziesismus in der breiteren Linken keine nuancierte Kritik an problematischen Gruppen innerhalb des Veganismus darstellt. Die Linken sind mehr als fähig, diese Gruppen zu erkennen und einzusehen, dass diese problematischen Menschen nicht die Sache oder die Idee hinter der Nicht-Ausbeutung von nicht-menschlichen Tieren verkörpern. Wir alle können schädliche Abspaltungen in anderen linken Bewegungen erkennen (siehe TERFs und SWERFs innerhalb des Feminismus), ohne dass dies automatisch dazu führt, dass wir die gesamten Ziele dieser Bewegung ablehnen. Die meisten Menschen in der Linken würden zustimmen, dass es lächerlich wäre, nicht-cis-Männer weiterhin aktiv zu unterdrücken, nur weil einige "Feministinnen" transphob oder gegen Sexarbeit sind.
ID: Germain Greer, ein prominente TERF, spricht zu einem Publikum in einem Konferenzsaal. Die Existenz von Leuten wie Germain Greer hat nicht dazu geführt, dass die gesamte feministische Bewegung von der Linken negiert wurde - und das sollte sie auch nicht.
Warum also leugnet die speziesistische Linke weiterhin den Anti-Speziesismus als eine ernstzunehmende Befreiungsbewegung und macht ihn zum Gegenstand von Spott und Verhöhnung? Warum sind viele Linke so versessen darauf zu beweisen, dass der Anti-Speziesismus de facto nichtig ist, weil "vegan sein" (interpretiert als eine pflanzenbasierte Ernährung) nicht universell zugänglich ist? Warum heben sie so oft hervor, dass der Anti-Speziesismus von der Beendigung der Unterdrückung anderer Menschen ablenkt - während sie niemals eine solche Nullsummen-Situation über andere Bewegungen für soziale Gerechtigkeit zeichnen würden? Wir hören die Linke beispielsweise selten behaupten, dass es unmöglich ist, simultan anti-rassistisch und anti-ableistisch zu sein. Dennoch suggeriert die speziesistische Linke, dass wir, wenn wir anti-speziesistisch sind, automatisch der menschlichen Unterdrückung nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken.
Das Problem ist systemisch! Einzelne Personen tragen keine Schuld!
Ein weiteres beliebtes Argument der speziesistischen Linken ist herauszuheben, dass der Kapitalismus die Hauptschuld am Speziesismus trägt und dass es folglich ineffektiv und sinnlos ist, Menschen dafür zur Verantwortung zu ziehen, wenn die meisten kein Wahl haben, als in irgendeiner Weise am kapitalistischen System teilzunehmen. Dieses Argument ignoriert aber offensichtlich die Tatsache, dass Menschen, die im kapitalistischen globalen "Westen" leben, in der Regel die Fähigkeit haben, den Speziesismus und speziesistische Praktiken auf einer persönlichen Ebene abzulehnen - und dies sogar in einem ziemlich grossen Umfang. Die speziesistische Linke argumentiert, dass Speziesismus systemisch ist und es in der Verantwortung von Regierungsorganen - und Individuen - liegt, ihn zu beenden. Das "Zugänglichkeits(Accessibility)"-Argument wird zusätzlich oft in diese Argumentation eingewickelt, wobei die Tatsache einfach ignoriert wird, dass der Veganismus gemäss seiner Definition keine Mitwirkung von denen verlangt, die derzeit - aus ökonomischen, gesundheitlichen oder gesellschaftlichen Gründen - nicht in der Lage sind, daran teilzunehmen. Aus einer privilegierten Position heraus zu sagen, Veganismus sei unzugänglich, und sich zu weigern, zu handeln (d.h. vegan zu werden), obwohl man alle Mittel hätte, es zu tun, ist speziesistisch, klassistisch, ableistisch und im Endeffekt eine Tokenisierung. Es ist richtig, dass sich gewisse Menschen nicht physisch an anderen Befreiungskämpfen und Aktionen beteiligen können, aber das ist keine Entschuldigung für diejenigen, die teilnehmen könnten, die Bewegungen insgesamt abzulehnen: Es unterstreicht nur die Notwendigkeit, die Zugänglichkeit zum Veganismus für alle zu erhöhen.
Manchmal versucht die speziesistische Linke, den Antispeziesismus mit dem Problem des Klimawandels zu verschmelzen, um so von der eigentlichen Problematik des Speziesismus abzulenken. Der Klimawandel ist schädlich und unterdrückt letztlich viele verschiedene Bevölkerungsgruppen; er ist jedoch keine Form der Unterdrückung, die spezifisch gegen eine bestimmte Gruppe von Wesen gerichtet ist. Es gibt unzählige Möglichkeiten, den Schaden für die Natur zu reduzieren und niemand kann einen einzigen Weg als moralischen Imperativ definieren. Die direkte Herbeiführung des Todes einer bestimmten Gruppe von Lebewesen (nicht-menschliche Tiere, im Fall von Speziesismus) hingegen, ist eine sehr eindeutige Form der Unterdrückung, die wir als Menschen ablegen müssen. Die Probleme, die aus dem Klimawandel resultieren und die, die der Speziesismus hervorruft, sind nicht identisch. Anti-Speziesist:innen erkennen zwar an, dass die Ursachen miteinander verbunden sind und setzten sich dafür ein, dass der Klimawandel und der Ökozid beendet werden; wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Natur auch deshalb wichtig ist wegen der Lebewesen, die sie bewohnen: "Umweltschutz" ohne Anti-Speziesismus ist lediglich grüngewaschene menschliche Vorherrschaft. Die meisten haben die Möglichkeit mehr oder weniger umweltbewusste Entscheidungen zu treffen, was jedoch nicht dasselbe ist, wie sich zu entscheiden, ob man ein anderes empfindungsfähiges Wesen unterdrücken will oder nicht.
Die speziesistische Linke ist der Ansicht, dass wir einzelne Personen nicht dazu auffordern sollten, vegan zu leben, weil sie nicht die Hauptantriebskraft hinter dem speziesistischen System sind. Die speziesistische Linke beruft sich somit gerne auf die Ausrede "es gibt kein ethischer Konsum im Kapitalismus" um ihren Speziesismus zu rechtfertigen. Auch wenn diese Aussage nicht ganz unwahr ist, ist dies letztlich ein unsinniges Argument. Rassismus und Behindertenfeindlichkeit sind ebenfalls systemisch bedingt, und auch hier verschärft der Kapitalismus die unterdrückerischen Strukturen - niemand würde aber behaupten, dass es deshalb akzeptabel ist, wenn Einzelpersonen rassistische oder ableistische Handlungen vollziehen. Es kann zutreffen, dass Individuen in der Tat nicht die treibenden Verursacher von Leid und Unterdrückung in einem dieser Systeme sind, aber das gibt einzelnen Menschen nicht den Freipass, andere zu unterdrücken, wenn es leicht zu vermeiden wäre. Zu schliessen, dass wenn ein Problem systemisch ist oder vom Kapitalismus gestützt wird, Individuen nicht gleichzeitig eine individuelle Verantwortung tragen, Unterdrückung zu vermeiden, ist nicht nur unlogisch, sondern schlichtweg unmoralisch. In Bezug auf jede andere Bewegung würde die Linke den Sachverhalt nicht so ausgelegen. Darüber hinaus würden Linke, wenn ein Problem systemisch ist und folglich eine Veränderung seitens der Regierung und Politik erforderlich ist, üblicherweise an Lobbyarbeit, Protesten und gross angelegten Aktionen teilnehmen, um zu versuchen, die notwendige Veränderung zu bewirken.
ID: 2 Fotos zeigen Proteste in Grossbritannien gegen Fracking aus dem Jahre 2019. Die Menschen halten Schilder mit der Aufschrift "Renewable energy now! No more excuses"; "We don't want to pay for new gas stations"; und "Climate breakdown: your responsibility". Die Proteste sollten die britische Regierung zu einem systemischen Wandel in Sachen Energieerzeugung und Umweltpraktiken bewegen.
Selten hören wir von der speziesistischen Linken, dass sie sich an diesen Arten von Kampagnen für einen Systemwandel im Namen von Nicht-Menschen beteiligen, dabei sind dies die einzigen Aktionen, die sie im Hinblick auf den Anti-Speziesismus angeblich befürworten. Vermutlich liegt ihr Mangel an Beteiligung auch darin begründet, dass sie sich nicht mit grosser Glaubwürdigkeit an solchen Protesten beteiligen könnten - wohl wissend, dass sie auf persönlicher Ebene aktiv Schaden anrichten, den sie einfach vermeiden könnten.
Viele Menschen innerhalb der Linken engagieren sich aktiv im Kampf gegen verschiedene Formen der Unterdrückung; sie vermeiden es zum Beispiel nicht einfach nur, "sexistisch zu sein". Linke sind aktiv anti-sexistisch: Sie sprechen sich gegen Sexismus aus, nehmen an politischer Lobbyarbeit oder Protesten teil, versuchen, systemische Veränderungen zu bewirken, bilden Aktionsgruppen, sammeln Spenden und sind Verbündete und Mitstreiter:innen für Individuen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Viele dieser Menschen weigern sich jedoch gleichzeitig, auch nur den geringsten Versuch der "Schadensvermeidung" gegen den Speziesismus zu unternehmen. Mit anderen Worten; sie weigern sich, Speziesismus in ihrem täglichen Leben abzulehnen und sich dagegen aufzulehnen. Sie tragen weiterhin direkt zu dem speziesistischen System der Unterdrückung bei, entweder durch ihren Lebensstil, ihre Ernährung, ihre Sprache oder ihre Handlungen. Warum wollen diese ansonsten gegen Unterdrückung agierenden Menschen nicht damit aufhören, den Speziesismus zu bewahren und zu reproduzieren? (Geschweige denn, eine aktive Rolle im Kampf für die Befreiung der Tiere zu übernehmen).
Im Endeffekt geht es um Fragen der persönlichen Verantwortung und Veränderung und darum, dass viele Menschen nicht dazu bereit sind, etwas zu "opfern", das sie mögen. Die Tatsache ist, dass die speziesistische Linke, wie auch die Rechte, es geniessen, andere Tiere auszubeuten und zu konsumieren - "Ich liebe Speck einfach!" "Es ist eine persönliche Entscheidung!" "Es ist unterdrückerisch, anderen vorzuschreiben, was sie essen sollen!". Viele wollen diese Privilegien nicht aufgeben. Die meisten Menschen beteiligen sich tagtäglich an der Unterdrückung von Tieren, indem sie deren Fleisch und Sekrete essen, und sich an dieser Praxis erfreuen. Wahrscheinlich sind auch fast alle Veganer:innen damit aufgewachsen, aus der Unterdrückung von Tieren hergestellte Produkte zu "geniessen", so wie einige Linke es "genossen" haben, andere Menschen zu unterdrücken, bis sie eingesehen haben, dass ihr Verhalten falsch ist und sie es allmählich verlernt haben.
Weil Speziesismus so sehr mit dem menschlichen Leben verflochten ist, ist der Verzicht darauf manchmal eine viel grössere persönliche Herausforderung als die Ablehnung, sich an anderen Formen der Unterdrückung zu beteiligen.
Die Schwierigkeit zur persönlichen Veränderung deutet darauf hin, dass Menschen ihren tief verwurzelten Lebensstil und ihre "Nahrungs"-Entscheidungen hinterfragen und folglich ablehnen müssten, an die sie sich emotional binden. Die meisten Menschen wollen dies einfach nicht tun, selbst die (speziesistische) Linke nicht. Im Kern dreht es sich hier um kulturellen Speziesismus und die nicht hinterfragte unterdrückerische Beziehung der speziesistischen Linken zu anderen Tieren, die sie letztendlich nicht als marginalisierte Personen anerkennen.
Viele innerhalb der speziesistischen Linken sehen zwar die Argumente für den Anti-Speziesismus, weil sie die Veränderungen, die damit einhergehen aber nicht akzeptieren wollen, ist Spott die einzige "logische" Vorgehensweise, die sie implementieren können. "Anti-vegane" Memes und Abwertungen wie das Belächeln des "Speziesismus"-Begriffs sind in Online-Räumen, die von der speziesistischen Linken betrieben werden, weit verbreitet. Spott hat den Effekt, ein Thema zu degradieren und auf seine Lächerlichkeit hinzuweisen. Wenn die speziesistische Linke Diskussionen über Anti-Speziesismus mit Spott reagiert, lenken sie von den Problemen innerhalb der Bewegung ab. Es geht spezifisch darum, von dem abzulenken, was am Veganismus gut, rational oder vernünftig ist und den Anti-Speziesismus zu entkräften. Es ist unklar, ob sie dies bewusst tun oder wie viel davon unbewusst vor sich geht - angeheizt (vermutlich) durch Schuldgefühle, die einige für ihr unterdrückerisches Verhalten und ihre Ideologie empfinden. Jedenfalls, auf Anti-Speziesismus mit Spott zu reagieren, dient dazu, die Entscheidung einer Person, nicht im Interesse nicht-menschlicher Tiere zu handeln, innerlich zu festigen und für sich zu rechtfertigen. Wenn sie den Anti-Speziesismus entkräften können, können sie zumindest intern ihren fortgesetzten Speziesismus weiter ausleben und entschuldigen.