image/svg+xmlALF

Das Problem mit Veganuary

Lara Biehl, 25.01.2024

Titelbild

Mit dem Januar kommt Veganuary und mit Veganuary auch die Diskussionen innerhalb der Tierbefreiungsbewegung, ob man als Einzelperson, Gruppe oder Organisation die Kampagne unterstützen soll. Die Meinungen darüber gehen auseinander: Einige sehen Veganuary als wichtiges strategisches Mittel für eine tierfreundlichere Welt. Andere halten ihn für nichts weiter als eine kapitalistische Werbeveranstaltung ohne Wirkung. Welche der beiden Meinungen trifft zu?

Veganuary – worum geht es?

Veganuary ist eine Kampagne, die Menschen motivieren soll, «im Januar sowie den Rest des Jahres eine rein pflanzliche Ernährung auszuprobieren». Die langfristige Vision von Veganuary ist eine «vegane Welt» ohne «industrielle Tierhaltung und Schlachthöfe»1. Um Veganuary für Verbraucher*innen attraktiver zu gestalten, geht die Kampagne eine Reihe von Partnerschaften mit Detailhändlern und Produktherstellern ein. Supermärkte bieten im Januar beispielsweise vegane Produkte zu günstigeren Preisen an oder erweitern ihr Sortiment, Restaurants und Kantinen bereiten mehr vegane Gerichte zu, etc.

Die gute Nachricht zuerst: Veganuary bringt mehr Menschen dazu, sich mit der veganen Küche auseinanderzusetzen

Das Konzept von Veganuary klingt zunächst nicht schlecht. Viele Menschen schrecken vor einer veganen Ernährung zurück, weil sie (zunächst) mit Mehraufwand und Verzicht verbunden ist. Mit seiner breit angelegten Marketingkampagne will Veganuary ein grösseres Bewusstsein für vegane Ernährung schaffen und pflanzliche Produkte fördern. Dadurch besteht die Chance, dass Menschen bestimmte Fleisch- oder Milchersatzprodukte für sich entdecken oder erkennen, dass es auch preiswerte vegane Produkte oder Mahlzeiten gibt, auf die man langfristig umsteigen kann.

Dies scheint auch der Grund zu sein, warum viele Tierrechtsorganisationen Veganuary offiziell unterstützen. Im Einklang mit dem marktwirtschaftlichen Prinzip «Nachfrage schafft Angebot» erwarten diese Organisationen, dass Veganuary zu einem Anstieg der Zahl vegan lebender Menschen führen wird. Dementsprechend sollte eine Zunahme von sich pflanzlich ernährenden Menschen auch zu einer Veränderung der Marktdynamik führen; also zu einer Verringerung der Nachfrage – und damit des Angebots – von tierischem Fleisch, Milchprodukten und Eiern.

Angebot und Nachfrage: Rettet Veganuary Tierleben?

Die letzte Aussage wirft zwei Fragen auf, die für Tierrechtsaktivist*innen relevant sind: Bringt Veganuary langfristig wirklich mehr Veganer*innen hervor? Verlässliche Aussagen dazu gibt es (noch) nicht. Verändert Veganuary zumindest im Januar die Nachfrage nach tierischen Produkten? Auf die zweite Frage gibt Veganuary eine etwas indirekte Antwort. Auf der Website heisst es, dass ein tierproduktfreier Januar zahlreiche Tierleben «verschont», was auch bedeuten müsste, dass die Nachfrage nach Fleisch abnimmt. Siehe zum Beispiel:2:

Veganuary-2

Veganuary-3

Unter dem dritten Bullet Point schreibt Veganuary, dass durch die zahlreiche Beteiligung an der Kampagne weltweit über 2,16 Millionen Tiere «vor Leid bewahrt» wurden. Die Daten entnimmt die Kampagne von dem Veganalyser calculator. Anhand von Angaben wie Alter und Ernährungsweise wird dort visualisiert, wie viele Tiere man durch den Fleischverzicht nicht verspeist.

Sich vor Augen zu führen, wie viel Fleisch man nicht gegessen hat, ist jedoch nicht dasselbe wie Tiere zu «verschonen». Einer pflanzlichen Ernährung nachzugehen, ist vielmehr eine passive Haltung, bei der bestimmte Lebensmittel gemieden werden, um nicht Teil einer Industrie zu sein, die moralisch bedeutsame Lebewesen ausbeutet. Man könnte höchstens einräumen, dass weniger Tiere gezüchtet und folglich auch gemästet und geschlachtet werden, wenn der persönliche Verzicht zu einer Verringerung der Nachfrage führt. Dies ist bei Veganuary jedoch nicht der Fall. Studien zeigen, dass die gestiegene Nachfrage nach pflanzlichen Ersatzprodukten im Januar nicht mit einem Rückgang der Nachfrage nach Fleisch korreliert3. Auch über das ganze Jahr betrachtet, nimmt der Fleischkonsum in der Schweiz übrigens nicht signifikant ab - er stagniert bzw. steigt wieder leicht an4. Mit anderen Worten: Veganuary tut dem Fleischverkauf keinen Abbruch. Das gilt auch für andere tierische Produkte. Bei Eiern (auf die während Veganuary ebenfalls verzichtet werden soll) wurde in der Schweiz im Januar 2024 sogar eine überraschend hohe Nachfrage festgestellt5.

Diese Feststellungen sind natürlich keine Entschuldigung dafür, eine vegane Ernährung abzulehnen. Veganismus ist eine Frage der Gerechtigkeit und das Mindeste, was wir tun können, um nicht-menschliche Tiere als moralische Subjekte anzuerkennen, ist sie nicht zu konsumieren und uns somit nicht an ihrer Ausbeutung zu beteiligen. Die Kritik an Veganuary richtet sich gegen die Tatsache, dass die von Veganuary veröffentlichten Zahlen missverständlich sind. Sie basieren nicht auf realen Statistiken, sondern auf einem Rechner, der ein hypothetisches Szenario entwirft, wie viele Tiere theoretisch nicht getötet würden, wenn eine Person pflanzlich leben würde. Diese Darstellung spiegelt aber weder die realen Marktgegebenheiten wider, noch folgt daraus, dass Tiere «verschont» werden.

Veganuary bringt vielleicht mehr Flexitarier*innen hervor – aber der Sache der Tiere ist damit kaum geholfen

Veganismus wird von Veganuary als eine Lebensweise dargestellt, die man «ausprobieren» kann, in die man einsteigen, aber auch jederzeit wieder aussteigen kann. Bei Veganuary geht es um Essen, Produkte und Lebensstil. Der Fokus liegt nicht auf nicht-menschlichen Tieren, sondern auf den Verbraucher*innen. Vegane Ernährung wird in einen Topf geworfen mit Diäten wie Low Carb, High Protein, Keto (oder wie auch immer sie heissen) und nicht selten als Gesundheitstrend vermarktet. Dies ist insofern unglücklich, als dass der Veganismus, der ohnehin schon mit vielen Vorurteilen behaftet ist, noch stärker als subjektivistischer Lebensstil inszeniert wird, bei dem es letztlich nur um Konsum geht. Damit wird eine ganze philosophisch-politische Denktradition, nämlich die des Anti-Speziesismus, auf eine Ernährungsform reduziert.

Die Essenz des Veganismus (bzw. des Anti-Speziesismus) liegt in der Erkenntnis, dass Spezieszugehörigkeit ein arbiträrer Grund für die Hierarchisierung zweier Lebewesen ist und dass die Unterdrückung von Lebewesen aufgrund ihrer Spezies daher irrational ist. Anders ausgedrückt: Die Ablehnung der Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere ist eine grundlegende Gerechtigkeitsüberzeugung, die, ähnlich wie beim Anti-Sexismus oder Anti-Rassismus, weder als vorübergehender Trend betrachtet werden sollte noch nach Belieben aufgegeben werden kann. Veganuary greift diese theoretische Grundlage nicht auf, wodurch die Wahl, vegan zu leben, zu einer amoralischen Entscheidung wird.

Veganuary ist ein Symptom einer breiteren Problematik, nämlich des «Mainstream-Veganismus». Unter Mainstream-Veganismus versteht man eine politisch neutrale und konsumorientierte Form des Veganismus. Der Mainstream-Veganismus vertritt den «vote with your dollar»-Ansatz und ist – etwas simpel ausgedrückt – der Ansicht, dass eine vegane Welt erreicht werden kann, wenn eine kritische Masse von Personen auf vegane Produkte umsteigt. Es gibt viele Gründe, diese Interpretation des Veganismus abzulehnen oder sie zumindest nicht als vollständig zu erachten.

Erstens blendet dieser Ansatz die «Komplizenschaft» unseres gegenwärtigen neoliberalen Wirtschaftssystems bei der Kommodifizierung nicht-menschlicher Tiere völlig aus. Die intensive Tierhalten (d.h die Massentierhaltung) ist ein Symptom eines Wirtschaftssystems, das Fleisch, Eier und Milch möglichst effizient, massenhaft und gewinnorientiert produzieren will – die Interessen der Tiere werden dabei den Interessen der Konsument*innen und Produzent*innen immer untergeordnet. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass Tiere im Laufe der Zeit zunehmend gentechnisch manipuliert wurden, um eine höhere Milchleistung oder ein schnelleres Wachstum zu erzielen (natürlich auf Kosten des Wohlbefindens der Tiere).

Ein konsum-orientierter Ansatz ignoriert diese Problematik. Die an Veganuary partizipierenden Konzerne haben kein Interesse am Tierwohl, sofern sich dies wirtschaftlich nicht auszahlt. Das haben Micarna, Bell und Suisseporcs bereits zur Genüge bewiesen. Detailhänder würden es nicht begrüssen, wenn Veganuary dem Fleischverkauf tatsächlich schaden würde. Das zeigt sich am Beispiel der Rabattvergabe in der Schweiz: Trotz Veganuary haben alle bekannten Supermärkte – darunter Coop, Migros und Lidl – Fleischwerbung veröffentlicht und Rabatte auf Fleisch gewährt6. Konsumpsychologin Christina Tobler erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch folgendermassen:

«Die Detailhändler bewerben den Veganuary nicht nur aus Idealismus, sondern sie wollen ihre Produkte verkaufen. Bei grossen Detaillisten ist es üblich, dass sie all ihre Kunden abholen wollen – auch jene, die nicht am Veganuary teilnehmen».6.

Angesichts der Marktmacht, die Hersteller tierischer Produkte haben, und der gewaltigen Agrar- und Fleischlobby, die die Politik massgeblich mitbestimmt, erscheint ein konsumorientierter Ansatz analytisch zu unterkomplex. Um wirkliche Fortschritte beim Schutz nicht-menschlicher Tiere zu erzielen (oder ihr Leiden zu verhindern), reicht es nicht aus, einfach bestimmte Produkte zu meiden; erforderlich sind vor allem politisches Engagement und Widerstand gegen die Interessengruppen, die am meisten von der Tierausbeutung profitieren. Es braucht dringend Politiker*innen und Aktivist*innen die die Bauernlobby in die Schranken weisen (oder ihr zumindest die Stirn bieten). Oder Vorstösse lancieren, damit auch vegane Ersatzprodukte staatlich subventioniert werden. Oder sich dafür einsetzen, dass unser poltisch rechter SVP-Bundesrat sich nicht über den Volkswillen hinwegsetzt und trotz Ablehnung der Jagdgesetzrevision den Massenabschuss von Wölfen anordnet.

Ein zweites damit zusammenhängendes Problem ist, dass sich der Mainstream-Veganismus und damit auch Veganuary lediglich auf den Konsum tierischer Produkte konzentriert. Die Unterdrückung nicht-menschlicher Tiere beschränkt sich jedoch nicht nur auf die sogenannten «Nutztiere», sondern ist in vielen anderen Bereichen unseres Lebens präsent und problematisch: zum Beispiel, wenn wir sie für Tierversuche oder zu unserer Unterhaltung nutzen (im Falle von Haus- und Zootieren) oder ihre Lebensräume zerstören (was auch durch den unregulierten veganen Kapitalismus nicht verhindert werden könnte – dazu kommt, dass vegane Produkte nicht automatisch «ethisch» sind, da ihre Herstellung mit Menschenrechtsverletzungen und schrecklichen Arbeitsbedingungen verbunden sein kann). Gerade deshalb ist es problematisch, Veganismus mit einer Ernährungsform gleichzusetzen. Der Anti-Speziesismus ist eine umfassende Gerechtigkeitstheorie, die uns auffordert, unseren Umgang mit und unsere Pflichten gegenüber allen Arten moralisch relevanter Lebewesen (einschliesslich anderer Menschen) kritisch zu diskutieren.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, was Veganuary nun für die Tierbefreiung bringt, könnte man auf Basis der hier diskutierten Argumente zu dem Schluss kommen: nicht viel. Die Wahrscheinlichkeit, dass Veganuary Menschen davon überzeugt, sich weitergehend für die Belange nicht-menschlucher Tiere auszusprechen und einzusetzen, scheint gering - vor allem, wenn diese dann auch noch das Gefühl haben, sie würden bereits Tiere retten, wenn sie eins- bis zweimal pro Woche auf Fleisch oder Milchprodukte verzichten. Veganuary bringt zwar mehr Menschen dazu, vegane Produkte auszuprobieren und senkt für einen Monat die Preise für (viel zu teure) Ersatzprodukte - was begrüssenswert ist. Darüber hinaus scheint der Effekt von Veganuary jedoch für die Befreiung der Tiere vernachlässigbar klein. Möglicherweise ist es sogar kontraproduktiv, dass der Veganismus, dessen rationale und philosophische Züge ohnehin weitgehend unbekannt sind oder nicht ernst genommen werden, noch mehr zu einer subjektiven und amoralischen Lebensentscheidung degradiert wird.


  1. Veganuary. (2023, December 27). Veganuary 2024. https://veganuary.com
  2. Veganuary. (2023, August 2). Veganuary 2022 saves over 2.16 million animals in just one month. Veganuary. https://veganuary.com/veganuary-2022-saves-over-two-million-animals/
  3. see for example: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36073024/ https://www.foodnavigator.com/Article/2022/10/10/veganuary-boosts-plant-based-but-doesn-t-take-a-bite-out-of-meat-sales
  4. Bundesamt für Statistik. (2023, January 5). Entwicklung des Nahrungsmittelverbrauches in der Schweiz. Je Kopf und Jahr - 1980-2021. Bundesamt Für Statistik. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/land-forstwirtschaft/ernaehrung.assetdetail.23945845.html
  5. Unerwartet grosse Nachfrage - Gesteigerter Appetit: In der Schweiz droht Eiermangel. (2024, January 18). Schweizer Radio Und Fernsehen (SRF). https://www.srf.ch/news/schweiz/unerwartet-grosse-nachfrage-gesteigerter-appetit-in-der-schweiz-droht-eiermangel
  6. Lüthy, B. (2023, January 14). Veganuary-Aktionen: Nur ein Detailhändler verzichtete kurz auf Fleischwerbung. Tages-Anzeiger. https://www.tagesanzeiger.ch/veganuary-aktionen-zielen-gar-nicht-auf-veganer-757161479600