Das Argument der Überschneidung der Spezies
Wenn wir behaupten, dass es moralisch gerechtfertigt ist, nicht-menschliche Tiere zu töten und zu essen, gehen wir davon aus, dass Tiere irgendein moralisch relevantes Kriterium nicht aufweisen, das sie ansonsten dazu qualifizieren würden, ein Recht auf Leben oder ein Recht auf Unversehrtheit zu haben. Da Menschen diese Rechte besitzen, müssen sie die zur moralischen Berücksichtigung qualifizierende Fähigkeit haben, die Tiere angeblich nicht haben. Es scheint, dass die meisten Menschen den relevanten Unterschied zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren in den hohen kognitiven Fähigkeiten des Ersteren lokalisieren. Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist nach dem Philosophen Harry G. Frankfurt die Fähigkeit, hinreichend rational zu sein, in dem Sinne, dass Menschen in der Lage sind über ihre Gedanken, Wünsche und Emotionen zu reflektieren. Wenn wir beispielsweise den Wunsch hegen, etwas zu essen, können wir uns fragen, ob wir diesen Wunsch haben wollen oder ob dieser Wunsch eher schädlich für uns ist. Wir können uns mit Wünschen identifizieren oder Wünsche haben, die wir als extern unserer Persönlichkeit betrachten (z.B. ein Raucher, der den Wunsch verspürt eine Zigarette zu rauchen, das Vorhandensein dieses Wunsches aber ablehnt und sich nicht damit identifiziert). Frankfurt nennt Wesen, die dieses Kriterium erfüllen, Personen.1 Tiere verfügen über keine Rationalität dieser Form, sie werden oftmals Nicht-Personen klassifiziert und deshalb – so die gängige Auffassung – sind sie minderwertiger als Menschen und haben kein Recht auf Leben oder Unversehrtheit und dürfen ausgebuetet werden. Dieses Schlussfolgerung kann aber angezweifelt werden.
Das Argument der Überschneidung der Spezies: Nicht alle Menschen sind auch Personen
Diejenigen, die der Meinung sind, dass nur Lebewesen moralisch berücksichtigungswürdig sind, die über die Fähigkeit dieser engen Form der Rationalität verfügen – also Lebewesen, die Personen sind – müssen nun aber, um konsistent zu bleiben, auch gewissen Menschen Rechte absprechen. Viele Menschen sind nämlich nicht in dem Sinne rational, wie zuvor definiert; sie sind zwar Menschen, aber keine Personen. Geistig Schwerbehinderte, Demente in fortgeschrittenen Stadien, Komatöse oder Babys und Kleinkinder erfüllen das moralisch relevante Kriterium nicht. Da somit nicht alle Menschen im moralisch relevanten Sinne rational sind, ihnen aber dennoch moralische Rechte zugesprochen werden und Tieren, die teilweise höhere mentale Kapazitäten aufweisen als diese Menschen, moralischen Status aberkannt wird, machen sich die Verteidiger dieses Argumentes potentiell der Willkür schuldig. Entweder müssen wir den Tieren dieselben Rechte zugestehen, wie marginalisierten Menschen oder wir müssen menschlichen Nicht-Personen ihre Rechte absprechen. Letzteres würde bedeuten, dass wir dazu befugt wären, geistig schwerbehinderte Menschen zu töten oder zu züchten, um sie dann zu essen – genauso wie wir es auch mit Tieren tun – oder sie zu unserer Unterhaltung als Eigentum zu nutzen. Da diese Folge nicht wünschenswert ist, bleibt uns nur, Tieren Rechte zu verleihen und somit ein anderes Kriterium für den Erhalt moralischen Status als hinreichend anzunehmen.
Die Philosophin Julia Tanner hat das Argument der Überschneidung der Spezies, so wie es Peter Singer ursprünglich aufgestellt hat, auf verständliche Weise zusammengefasst:
P1 | Wenn die oben definierte Form von Rationalität ausschlaggebend für die Vergabe moralischer Rechte ist, dann erfüllen weder Tiere noch gewisse Menschen (menschliche Nicht-Personen) dieses Kriterium. |
P2 | Menschliche Nicht-Personen verfügen über moralischen Status. |
P3 | Wenn menschliche Nicht-Personen über moralischen Status verfügen sollen – Tiere aber nicht – kann Rationalität nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Vergabe moralischer Rechte sein. |
P4 | Es kann kein anderes Kriterium ausfindig gemacht werden, das menschlichen Nicht-Personen moralischen Status verleiht – Tieren diesen aber abspricht. |
K | Wenn menschliche Nicht-Personen über moralischen Status verfügen, muss dasselbe auch für Tiere gelten. |
Was wird mit diesem Argument von Tanner genau gezeigt?
Reductio ad absurdum / Beweis durch Widerspruch: Die Reductio ad absurdum ist eine Beweistechnik in der Logik, bei der aus einer Aussage x eine falsche bzw. absurde Folgerung y folgt, wobei die Prämisse x aufgrund der inakzeptablen Konklusion y widerlegt wird. In Singers Argument ist die nicht annehmbare, absurde Konklusion die Behauptung, dass weniger rationale Menschen keine Rechte haben. Da die Konklusion abwegig ist, lässt sich schliessen, dass die Prämisse, die eine anspruchsvolle Form der Rationalität ausschlaggebend für moralischen Status erachtet, falsch ist. Eine Reductio in diesem Sinne kann bei jedem typisch menschlichen Kriterium aufgeführt werden (Selbsterkenntnis, Sprachfähigkeit, Reflektionsfähigkeit), da es immer Menschen geben wird, die die relevanten Fähigkeiten nicht aufweisen. Es bleibt – um die Absurdität der Konklusion zu vermeiden – nichts Anderes übrig, als das ausschlaggebende Kriterium für die Vergabe moralischer Rechte an einem Kriterium festzumachen, das von allen Menschen und somit auch von den meisten Tieren getragen wird, da sich die menschliche Spezies und viele nicht-menschliche eben in ihren Fähigkeiten überschneiden.
Einwände gegen das Argument der Überschneidung der Spezies
Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob es nicht doch irgendwie möglich ist, menschlichen Nicht-Personen Rechte zu gewähren, ohne dass auch nicht-menschliche Tiere Rechte erhalten. Ich werde nachfolgend zeigen, dass die von mir vorgestellten Ansätze, die das versuchne, alle scheitern.
1.) Zwischenmenschliche Identifikation und Potentialität zum Personensein als moralisch relevante Kriterien
Eine Art und Weise, wie versucht wird weniger rationale Menschen zu berücksichtigen und Tiere nicht, ist zu behaupten, dass wir uns nur mit Menschen auf eine relevante Art und Weise identifizieren können. Die Art der Identifikation, die gemeint ist, basiert nicht auf Emotionen wie Mitleid, sondern auf einem hypothetischen Ich-Bezug.3
(1) Identifikation-These: Wir können uns mit anderen Menschen auf eine Weise identifizieren, wie wir es mit Tieren nicht können.
Wir können uns beispielsweise mit einem Menschen identifizieren, der durch einen Schicksalsschlag gewisse rationale Fähigkeiten verloren hat, weil auch wir durch unglückliche Umstände in denselben Zustand gelangen können. Wir können uns auch mit einem sehr kleinen Kind identifizieren, weil auch wir einmal ein kleines Kind waren. Was wir angeblich aber nicht können, ist uns in demselben Masse mit Tieren zu identifizieren. Ich kann zwar Mitleid mit einer Katze empfinden, die getreten wurde und mir vorstellen, dass die Katze Schmerzen empfindet – es gibt aber keine Möglichkeit, dass ich jemals die Katze hätte sein können bzw. ich wirklich verstehen kann, wie es ihr geht. Ein hypothetischer Ich-Bezug ist nur unter Mitgliedern der Spezies Mensch möglich.4
Das Argument der Identifikation durch den hypothetischen Ich-Bezug ist aus mehrerer Hinsicht fragwürdig.
Erster Einwand: Der Ansatz umfasst wahrscheinlich nicht alle Menschen. Können wir uns wirklich mit jemandem identifizieren, der wegen eines angeborenen Gendefektes seit seiner Entwicklung geistig Schwerbehindert ist? Ein solcher Mensch hat – im Gegensatz zu einem Kind – kein Potential, jemals eine Person zu sein und im Gegensatz zu einer Person, die Teile ihrer Rationalität verloren hat, kann er sein "Personensein" nicht verlieren, weil er oder sie nie Potential dazu aufgewiesen hat. Ein hypothetischer Ich-Bezug kann in diesem Falle nur dann gelingen, wenn ich mir auf eine plausible Art und Weise vorstellen kann, dass ich andere Eltern gehabt hätte, die diesen Genfehler in ihrem Erbgut tragen und ich potentiell an dieser Erbkrankheit leiden hätte können. Dies scheint aber den oben diskutierten Sinn der Identifikation zu verfehlen. Es ist nicht mehr verständlich, warum die blosse Referenz darauf, dass ich völlig andere Eltern hätte haben können, ausreicht, um menschlichen "Nicht-Personen" moralischen Status zuzuschreiben. Wenn ich ein ganz anderer Mensch hätte sein können, wieso hätte ich dann nicht potentiell auch zu einer anderen Spezies gehören können? Könnte ein hypothetischer Ich-Bezug dann nicht auch bei anderen Spezies gelingen (es hätte sein können, dass ich als Affe zur Welt komme)?
Konklusion: Die Identifikation mit menschlichen Nicht-Personen durch einen hypothetischen Ich-Bezug scheitert bei Menschen, die über keine Potentialität zum Personensein verfügen.
Zweiter Einwand: Es ist nicht klar, weshalb die Möglichkeit zur Identifikation mit anderen Menschen ausreichen soll, um zu erklären, wieso Tiere keinen moralischen Status erlangen und ausgebeutet werden dürfen. Der Ansatz kann höchstens erklären, weshalb es für uns einfacher ist, uns mit Kindern, Dementen oder Menschen, die einen Schicksalsschlag erlitten haben zu identifizieren als mit Hunden, Rindern oder Schweinen – es bleibt aber unbeantwortet, weshalb dies Rechte oder moralischen Status generieren soll.
Konklusion: Es ist nicht klar, was die Möglichkeit zur Identifikation mit moralischen Rechten zu tun hat.
(2) Potentialitäts-These: (Momentan) weniger rationale Menschen sind potentielle Personen
Das Argument lautet folgendermassen: Es gibt zwar Menschen, deren derzeitige kognitive Fähigkeiten gleich oder unter dem Level von gewissen Tieren sind, diese Menschen werden sich aber zu Personen entwickeln bzw. haben ihr Personensein verloren und sind somit aus moralischer Sicht berücksichtigungswürdig. Auch diese Behauptung ist aus mehreren Gründen problematisch.
- Der Potentialitäts-Ansatz ist nicht in der Lage eine klare Grenze zu ziehen, wann Potentialität moralisch relevant ist und wann nicht: das heisst, es kann nicht auf Anhieb ausgemacht werden kann, zu welchem Zeitpunkt Potentialität moralische Pflichten generiert. Aus einer soeben befruchteten Eizelle entwickelt sich eine potentielle Person. Ist es nun aus moralischer Sicht nicht gestattet, die Pille danach einzunehmen, weil durch die Einnahme mögliche Potentialität vereitelt wird? Dürfen wir lebenserhaltende Massnahmen bei Langzeitkomatösen nicht abschalten, weil sie früher einmal Personen waren? Haben wir spezielle Verpflichtungen gegenüber Toten, weil sie zu Lebzeiten Personen waren? Es muss hierbei zwischen strikter oder gradueller Potentialität unterschieden werden. Strikte Potentialität wertet den Tod einer befruchteten Eizelle gleich dem eines Kindes, da aus der Eizelle eine potentielle Person entstehen kann. Dieser Ansatz ist aber absurd, da wir normalerweise nicht der Meinung sind, dass eine gerade befruchtete Eizelle moralischen Status hat bzw. es Frauen nicht gestattet ist, nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr die Pille danach zu nehmen. Der Ansatz zur graduellen Potentialität wiederum könnte dazu führen, dass weniger rationale Menschen – und dies steht dem entgegen, was der Speziesist eigentlich möchte – ausgebeutet werden dürfen. Wenn der moralische Wert von Potentialität graduell ist, werden denjenigen, die näher am Ideal einer "Person" entsprechen als moralisch wertvoller gewertet. Je näher jemand an den Zustand des "Personenseins" herankommt, desto höher sein moralischer Status und je entfernter jemand vom "Personenstatus" ist, desto niedriger ist sein moralischer Status. Dies führt zu der absurden Konsequenz, dass wenn wir zwei Kinder haben – eines, das schon seit Geburt eine Behinderung aufweist und eines, das erst im Laufe seines Lebens behindert wurde – ersterem weniger moralischen Wert zuschreiben, weil es aufgrund seiner angeborenen Behinderung vom Personenstatus entfernter war als das andere Kind. Ausserdem ist es unter dem Ansatz der graduellen Potentialität vorstellbar, dass gewisse menschliche Nicht-Personen zum Wohle von Personen „geopfert“ werden dürfen – z.B. indem schmerzhafte Experimente an ihnen durchgeführt werden, damit vollstände Personen davon profitieren.5
- Potentialität wird höher gewichtet als Wirklichkeit: Nur, weil wir alle potentiell tot sind, heisst das nicht, dass wir auch wie potentiell Tote behandelt werden sollten. Es kommt wahrscheinlich weniger darauf an, was wir potentiell sind oder was wir einmal waren, sondern viel mehr, in welchem Status wir uns momentan befinden.
- Es herrscht Ungewissheit über den Zusammenhang zwischen Potentialität und normativen Aussagen: Wie der oben aufgeführte Punkt zeigt, ist es nicht ersichtlich, wieso Potentialität sich dazu qualifiziert, festzulegen, wer moralischen Status erhält und wer nicht. Der Zusammenhang zwischen Potentialität und normativen Aussagen muss spezifiziert werden, ansonsten ist nicht klar, weshalb sich nicht auch aus meinem Potential, eine sehr gute Gitarrenspielerin zu werden, ableiten lässt, dass ich die Pflicht habe, Gitarre spielen zu lernen und dafür kritisiert werden kann, meine Gitarrespielfähigkeiten nicht zu entwickeln - auch wenn ich kein Interesse daran hege.
- Allen Menschen, die sich nicht im momentanem Zustand des Personenseins befinden, wird inhärenter Wert abgesprochen: Kinder, Demente, Komatöse etc. sind nur deshalb mit moralischem Status ausgestattet, weil sie das Personensein zu einer gegebenen Zeit instanziiert haben oder instanziieren werden. In ihrem jetzigen Zustand - z.B. im Zustand „dement sein“ - verfügen sie aber über keinen inhärenten Wert (genauso wie Menschen im Zustand „Kind sein“ über keinen verfügen würden), weil nur dann jemand inhärenter Wert besitzt, wenn er gegenwärtig eine Person ist.
2.) Der Fairness-Ansatz: menschliche Nicht-Personen sind keine Personen, weil sie vom Schicksal ungerecht behandelt wurden. Die Fairness gebietet es dieses Unrecht auszugleichen und ihnen – genau wie Personen – moralischen Status zu zuzuschreiben.
Der Fairness-Ansatz gründet auf der Beobachtung, dass weniger rationale Menschen nichts dafür haben, dass sie keine Personen sind. Da wir als moralische Akteure einsehen, dass Schicksalsschläge einem Menschen Schaden zugefügen, sind wir dazu verpflichtet, ihnen das Mindestmass an Fairness entgegenzubringen, um diesen Schaden auszugleichen. Die Schwäche des Fairness-Ansatzes kann am besten aufgezeigt werden, in dem man sich das zu Grunde liegende Unglücks-Prinzip anschaut:
Unglück zu haben, bedeutet, dass man durch unvorhersehbare oder unvermeidliche Begebenheiten in einen schlechteren Zustand gelangt ist.
Wenn das Wiederfahren von Unglück das Recht auf Fairness impliziert, ist nicht klar, weshalb Tiere dann aus einer fairen Berücksichtigung ausgeschlossen werden. Dass ein Mensch mit starker, genetischbedingter Retardierung nicht selbst an seinem Zustand Schuld ist, ist genauso trivial, wie dass ein Löwe sich nicht ausgewählt hat ein Löwe zu sein, geschweige denn ein Rind, das gemästet wird, selbst schuld ist, dass es von Menschen für den Verzehr seines Fleisches gezüchtet wurde. Weder der weniger rationale Mensch noch das Rind haben etwas für ihren unglücklichen Zustand dafür. Um dieses Problem zu lösen, müsste darauf referiert werden, dass menschliche Nicht-Personen nur deshalb Träger moralischer Rechte sind, weil sie zu einer Spezies gehören, die durch das Personensein charakterisiert ist. Es ist dann aber wieder unklar, weshalb die reine Zugehörigkeit zu einer Spezies moralisches Gewicht trägt und die Argumentation wird zirkulär.
Eine andere Art diesem Problem aus dem Wege zu gehen, ist zu argumentieren, dass der Verweis auf Unglück missverstanden wurde. Gemeint ist nicht Unglück im Sinne von unvorhersehbaren Wiederfahren von Leid, sondern Unglück im Sinne von „kein normales Mitglied einer Art sein“. Das Unglück besteht somit darin, dass weniger rationale Menschen sich nicht so verhalten können, wie andere Mitglieder ihrer Spezies bzw. können sie keinen Gebrauch von Fähigkeiten machen, wie es ansonsten der Fall ist. Fairness ist somit nur dort anwendbar, wo jemand durch externe, nicht beeinflussbare Faktoren eine Einbusse seines natürlichen Potentials erlitten hat. Da Tiere nicht durch unglückliche Umstände in ihren Status gelangt sind, sondern normale Mitglieder ihrer Spezies sind, ist ihnen kein Unglück wiederfahren und es kann kein Fairness-Prinzip auf sie angewendet werden.
Dieser Ansatz erklärt jedoch immer noch nicht, weshalb die Grenze bei Menschen gezogen werden muss. Man kann durchaus davon ausgehen, dass auch in diesem Sinne Tieren Unglück wiederfahren kann; wenn ihnen zum Beispiel ihr natürliches Potential verwehrt wird und sie sich nicht wie andere Mitglieder ihrer Spezies verhalten können. Stellen wir uns einen Hund vor, der sein Leben lang von seinem Besitzer an einer kurzen Kette gehalten worden ist. Durch sein einsames, isoliertes Leben hatte er keine Möglichkeit sich zu sozialisieren geschweige denn positive Erfahrung mit Menschen oder anderen Tieren zu sammeln. Weshalb sollte man nicht sagen können, dass dem Hund ein Unglück wiederfahren ist, da ihm die Chance auf ein artgerechtes Leben und eine normale Entwicklung von externen, für ihn nicht zu kontrollierenden Umständen, genommen wurde?
Der Grundsatz der Fairness wird angewendet, weil menschliche Nicht-Personen von externen Kräften unglücklich behandelt wurden bzw. ihnen ein Übel widerfahren ist. Damit Fairness aber Unglück ausgleichen kann, müssen wir bereits annehmen, dass die vom Unglück Betroffenen moralischen Status besitzen. Denn hätten sie diesen nicht, würden wir das, was ihm zustösst, nicht als unfair betrachten. Es ist aber erneut nicht klar, weshalb das nur für weniger rationale Menschen gilt und nicht auch für Tiere.5
Zu guter Letzt kann gegen dieses Argument eingewendet werden, dass es ableistisch ist, weil es niedrigere oder anderswertige kognitive Fähigkeiten als der menschliche Standard abwertet und ihr Vorhandensein als Unglück bezeichnet. Dies nimmt vorweg, dass ein weniger rationaler Mensch standardmässig ein schlechteres oder eben weniger werthaftiges Leben führt als ein Mensch mit dem Standard entsprechenden kognitiven Fähigkeiten. Obwohl viele Philosophen weniger rationale Menschen wie selbstverständlich in den Kreis der moralisch berücksichtigungswürdigen Wesen einschliessen, werden sie in Realität wegen ihren angeblichen Beeinträchtigungen oftmals diskriminiert oder abgewertet. Somit gibt es auch Überschneidungen zwischen Speziesismus und Ableism.
Fazit
Egal, an welche typisch menschliche Charakteristika Speziesisten die Vergabe moralischer Rechte binden wollen, es wird immer gewisse Menschen geben, die die relevanten Fähigkeiten nicht erfüllen. Konsistenterweise müssten diesen Menschen dann ihr moralischer Status aberkannt werden. Da dies aber absurd und kontra-intuitiv ist, müssen wir ein Kriterium wählen, das alle Menschen teilen – und somit auch die meisten nicht-menschlichen Tiere. Versuche, menschliche "Nicht-Personen" dennoch in die Sphäre moralisch berücksichtigungswürdiger Wesen einzuspannen, nicht-menschliche Tiere aber nicht, scheitern. Entweder sind die Argumente, die dieses Ziel verfolgen zirkulär oder ziehen problematische Konsequenzen mit sich.
- Frankfurt, Harry G., Freedom of the Will and the Concept of a Person, in: The Journal of Philosophy, Bd. 68, Nr. 1, 1971.↩
- Es muss sichergestellt werden, dass die Identifikation nicht auf Emotionen beruht, da beispielsweise die meisten Menschen sehr stark auf die falsche Behandlung bzw. das Leiden von Haustieren reagieren und Mitglieder von Tierrechtsbewegungen Nutzieren viel Empathie, Mitgefühl und Bedauern entgegenbringen. Wenn Identifikation also zu stark auf Emotionen basieren würde, so wäre es für Verteidiger des Speziesismus schwieriger zu erklären, weshalb menschliche Nicht-Personen, nicht aber Tiere zur moralischen Sphäre gehören.↩
- Wreen, Michael, In Defense of Speciesism, in: Ethics and Animals, Bd. 5, Nr. 3, 1984, S. 47 – 60.↩
- Diese und weitere Argumente gegen verschiedene Versuche den Speziesismus zu verteidigen, finden sich in: Pluhar, Evelyn, Beyond Prejudice. The Moral Significance of Human and Nonhuman Animals, Durham/London 1995.↩