Tierbefreiungen, Sabotage, Einbruch – Eine Verteidigung der Animal Liberation Front
Inhalt
- Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Entstehung der ALF
- Gewaltlosigkeit und die vier Leitgrundsätze der ALF
- Trag eine Maske: Warum Anonymität Leben retten kann
- Gründe für den Einsatz illegaler Methoden: Tierbefreiungen, Einbruch und verdeckte Untersuchungen
- Und was ist mit Sachbeschädigung? Eine Relativierung des Gewaltbegriffs
- Kritische Anmerkungen zur Einordnung der ALF als Terrororganisation
- Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Beurteilung der Taktiken der ALF?
Tierbefreiungen, spektakuläre verdeckte Untersuchungen, Vandalismus und Ökosabotage – die Animal Liberation Front, kurz ALF, ist eine führungslose und dezentral organisierte Gruppierung, die unter dem Ziel der totalen Befreiung nicht-menschlicher Tiere operiert. Wegen ihrem Einsatz illegaler Methoden ist die ALF und ihre Vorgehensweise auch innerhalb der Tierbefreiungsbewegung umstritten. Kritiker:innen der ALF, meistens Personen, die pazifistische Werte als einzig moralisch akzeptable Form des politischen Protests auffassen, werfen der ALF vor, nicht nur die nicht-vegane Bevölkerung abzuschrecken, sondern sich durch den Einsatz von “Gewalt” desselben Fehlverhaltens schuldig zu machen wie Tierausbeuter:innen. Nach der Devise “Gewalt führt nur zu mehr Gewalt”, verurteilen viele Personen Sachbeschädigung, Drohungen und Einbruch als Form des politischen Protests.
Ist der Einsatz von illegalen Methoden nie moralisch rechtfertigbar? Weshalb betrachtet die ALF illegale und “gewaltsame” Methoden als Notwendigkeit für soziale Transformation? Wieso tragen ALF-Aktivist:innen Masken und versuchen anonym zu bleiben? Die Motive, die ethischen Standpunkte und die Gründe für die Wahl militanter Taktiken sind vielfältig und wurden bisher nur unzureichend in der breiten veganen Bewegung diskutiert. Dieser Beitrag hat zum Ziel, einen differenzierten Einblick in die Ideologie, die Beweggründe und die Ziele der ALF zu geben und ihre Einstufung als “gewalttätige” Organisation zu hinterfragen. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage, ob der Einsatz von illegalen Mitteln und Gewalt gegen Eigentum rechtfertigbar ist, wenn eine systemisch unterdrückte Gruppe von Lebewesen davon profitiert.
Bemerkungen: (1) Immer, wenn ich auf den Begriff der “Gewalt” im Zusammenhang mit der ALF Bezug nehme, ist dabei Sachbeschädigung gemeint, da die ALF jegliche physische Schädigung von Individuen ablehnt. (2) Der Artikel stellt keinen Aufruf dar, sich in illegale Aktivitäten zu involvieren, sondern diskutiert lediglich Strategien und ethische Legitimationsversuche von verschiedenen Protestformen.
Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Entstehung der ALF
Die ALF entstand im Jahre 1976 aus einer Abspaltung der ebenfalls bis heute aktiven Hunt Saboteur Association (HSA) – einer Organisation, die Sabotageakte gegen Jäger zum Schutz frei lebender Tiere einsetzt. Die späteren Gründer der ALF, darunter Ronny Lee, kritisierten die vorwiegend pazifistischen Taktiken zeitgenössischer Tierbefreiungsgruppierungen, da legale Aktionsformen gemäss Lee keine spürbare Verbesserung für nicht-menschliche Tiere verzeichnen konnten. Frustriert vom ausbleibenden Fortschritt, sehnten sich die Aktivisten nach direkten Ergebnissen und unmittelbarer Veränderung. Umgesetzt wurde dieser Wunsch mit der Gründung der “Band of Mercy”, die auf Ökosabotage setzte: In ihren Anfängen beschädigte die Band of Mercy – da noch stark mit der HSA verknüpft – zahlreiche Fahrzeuge von Jägern. Ihre Angriffe weiteten sich bald auf weitere Zielgruppen aus. Boote, die zur Robbenjagd eingesetzt wurden, wurden bis zur Unbrauchbarkeit zerstört. Im Jahre 1973 brannten Angehörige der Gruppierung ein sich noch im Bau befindendes Labor in Milton Keynes, England, nieder, und verursachten einen Sachschaden von £26,000. 1974, beim Versuch das “Oxford Laboratory Animal Colonies” anzuzünden, wurden Lee und drei weitere Aktivisten noch vor dem Vollzug verhaftet.1 Lee wurde anschliessend zu 3 Jahren Haft verurteilt, von denen er 12 Monate absitzen musste. Zur seiner Überraschung blieb sein Aktivismus nicht unbemerkt. Obwohl er davon ausging, dass seine Haftstrafe für die meisten Tierbefreiungsaktivist:innen eine abschreckende Wirkung hatte, traf das Gegenteil ein. Aufgrund des grossen Zuspruchs und der neuen, erhöhten Aktionsbereitschaft entschloss sich Lee, die Band of Mercy in die Animal Liberation Front umzubenennen:
I was really pleased because I was worried that the fact we were put in prison would put other people off taking direct action. I didn’t really know what would happen. I was pleasantly surprised when I got out of jail to have animal rights people coming up to me saying, “I want to get involved in that”. Out of the original 6 people, when we were put in prison, a couple of them dropped out, so that number was cut down. A lot of other new people then wanted to get involved and it was at that time we changed the name to Animal Liberation Front because Band Of Mercy sounded like some sort of religious organisation. It didn’t mention animals or say what we were about so we thought Animal Liberation Front was a good name because that’s what it was all about. – Ronny Lee, Mitbegründer der ALF2
Gewaltlosigkeit und die vier Leitgrundsätze der ALF
Die ALF ist strikt genommen keine Organisation. Es gibt weder einen übergeordneten Führungsstab, der Aktionen plant oder Aktivitäten innerhalb der Aktivistengruppen überwacht, noch gibt es Mitgliederlisten. Die Zugehörigkeit zur ALF ergibt sich durch die Ausführung spezifischer Handlungen.3 Folgende Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine Aktion als ALF-Aktion gilt:
- Tierbefreiung: Es müssen Tiere von Orten, an denen ihnen Leid widerfährt, gerettet werden. In Frage kommen Laboratorien, Tierhaltungsanlagen, Pelzfarmen, etc. Die geretteten Tiere müssen an Orten platziert werden, wo sie in der Lage sind, ein artgerechtes Leben zu führen.
- Ökonomische Sabotage: Denjenigen, die vom Leid der Tiere profitieren und sie lediglich als Mittel zum Zweck betrachten, muss ökonomischer Schaden zugeführt werden.
- Dokumentation der Zustände: Die Zustände, unter denen die Tiere hinter verschlossenen Türen leben, müssen aufgedeckt werden.
- Gewaltfreiheit: Die Aktionen müssen vorsichtig geplant und durchgeführt werden, so dass weder Menschen noch Tiere (physisch) zu Schaden kommen. Jede Gruppe von Menschen, die vegetarisch oder vegan leben und Aktionen nach diesen Richtlinien durchführen, haben das Recht, sich als Teil der Animal Liberation Front zu betrachten.4 Es müssen aber nicht alle Kriterien in ein und derselben Aktion erfüllt sein, da verschiedene Herausgeber der ALF-Aktivistenpresse Delikte aufführen, die jeweils nicht alle Punkte beinhalten, so wie beispielsweise Tierbefreiungen, die keine Sabotageakte aufwiesen.
Aus den vier Leitgrundsätzen der ALF kann geschlossen werden, dass die meisten ALF-Aktionen folgende Gemeinsamkeit haben:
- Antispeziesismus: Da es keinen moralisch relevanten Unterschied zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren gibt, ist ihre Unterdrückung moralisch nicht gerechtfertigt und stellt ein Unrecht dar.
- Direct-Action: Wie bereits erwähnt, war die Gründung der ALF von einer pessimistischen Haltung gegenüber konventionellen Methoden des Aktivismus geprägt. Gerade weil speziesistische Praktiken institutionalisiert, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verankert sind und gefördert werden, kann kein Vertrauen darin bestehen, dass diese Institutionen sich gegen den Speziesmus aussprechen werden (politische Kampagnen scheiterten, anti-speziesistische Bildung wird in der Schule nicht gelehrt, es werden mehr Tiere als jemals zuvor getötet, obwohl es mehr vegane Angebote gibt). Das Modell der Direct-Action sieht vor, direkte Resultate zu erzielen und ungerechte Gesetze zu brechen. So müssen Aktivist:innen, um Tiere von einem Leben in Gefangenschaft und einem gewaltsamen Tode retten zu können, in Ställe einbrechen und sie entwenden. Oder um finanziellen Druck auf Tierfabriken auszuüben, werden illegale Formen des politischen Protests wie Sitzblockaden oder Vandalismus eingesetzt. Wenn illegale oder “gewalttätige” Aktionen gerechtfertigt sind, um unterdrückten Menschen in gewissen Situationen beizustehen, muss auch der Kampf für die Befreiung aller nicht-menschlicher Tiere mit diesen Mitteln legitim sein.
- Gewaltlosigkeit: Die ALF klassifiziert “Gewalt gegen Eigentum” nicht als Gewalt und betrachtet Ökosabotage als legitim, sofern Eigentum dazu genutzt wird, Gewalt an einer unterdrückten Gruppe von Lebewesen auszuüben. Die ALF verurteilt jegliche physische Gewalt an Personen und nicht-menschlichen Tieren.
Trag eine Maske: Warum Anonymität Leben retten kann
ALF-Aktivist:innen tragen schwarze, neutrale Kleidung und Sturmhauben, um ihre Identitäten zu verschleiern. Die ALF befürwortet verdeckte Aktionen, da die Verhüllung der eigenen Identität Anzeigen, Registrierungen und Haftstrafen vorbeugt. Durch das Modell autonomer Zellen können sich Aktivist:innen effizienter organisieren oder Aktionen alleine ausführen. Weil Aktivist:innen andere Zellen nicht kennen, ist es schwieriger für Behörden und Polizei, Fälle aufzuklären. In den USA zählt die ALF zusammen mit anderen militanten Tierrechts- und Umweltbewegungen als potentiell gefährlichste inländische Terrorgefahr.5 Aufgrund starker staatlicher Repressionen ist es für viele Aktivist:innen essenziell, ihre Identität zu verbergen, um Haftstrafen vorzubeugen und weiterhin aktiv bleiben zu können. Wenn es um die Befreiung von Tieren geht, ist dies aber nicht der einzige Grund:
Anonymität der Aktivist:innen kann essenziell für die Sicherheit der geretteten Individuen sein. Die Offenlegung der Identität – entweder freiwillig aus Überzeugung oder durch unzureichende Sicherheitsvorkehrungen – hat in der Vergangenheit schon dazu geführt, dass die Polizei über die Identifizierung der Aktivist:innen auch die geretteten Tiere ausfindig machen konnten, die in den meisten Fällen ihre erworbene Freiheit wieder verloren haben und entweder zurück in die Tierfabrik gebracht oder getötet wurden.6
Für manche ist Anonymität auch aus ideologischen Gründen wichtig: Mitglieder der ALF scheinen Personenkult und einen starken Fokus auf den Menschen in der Rolle des “Befreiers” oder “Retters” abzulehnen.7 Durch die Abstrahierung des Menschen zum gesichtslosen Helfer sollen die eigentlichen Akteure der Befreiungsbewegung – die nicht-menschlichen Tiere – in den Vordergrund gerückt werden: Es sollen nicht die Menschen gefeiert werden, die in die Befreiung einzelner Tiere involviert sind, sondern der eigene Befreiungskampf der Tiere ins Zentrum gerückt werden. Überall, wo Tiere ausgebeutet werden, treten sie als Akteure des Widerstands auf und versuchen, sich aus ihrer Lage zu befreien oder sich zu wehren. Menschen assistieren Tieren lediglich in diesem Vorhaben. Folgende Reflexion über die Befreiung eines Schweines durch ALF-Aktivist:innen mag dies verdeutlichen:
“[…] whilst open rescue could be a useful tactic, we should consider the safety of the individuals helped free and our own freedom to carry on working, and no one should be engaging in open rescue as a tool to grow their social media presence and their business opportunities. It is about time that we shift the focus from our face to the individuals who we are supposedly aiming to help. It is their story, NOT OURS. Doing anything else make us self absorbed and ego driven. Liberation is communal and cannot be achieved by creating saviours and heroes that will “free all the animals”. We need more anonymous, quiet and smart individuals being accomplices in the fight for animal liberation and less pretty faces to follow on instagram. We need active participants not likes on posts.” - Aus: Unoffensive Animal: HOW TO STEAL A PIG AND NOT MAKE IT ABOUT YOURSELF
Gründe für den Einsatz illegaler Methoden: Tierbefreiungen, Einbruch und verdeckte Untersuchungen
Die ALF führt einige Argumente für die Rechtfertigung militanter Aktionen auf, die nachfolgend diskutiert werden.
1.) Ein Blick in die Geschichte: Wir bewerten militante Taktiken nicht immer intuitiv als moralisch falsch
Wie wir aus zahlreichen Beispielen aus der Geschichte wissen, ist Legalität nicht zwingend mit moralischer Legitmität verknüpft. Gesetze können falsch sein und sie können dazu dienen, gewisse Menschen und nicht-menschliche Tiere zu unterdrücken, zu quälen oder zu vernichten, während sie die Macht privilegierter Menschen sichern. Die Anwendung von Gewalt gegen Eigentum und andere illegale Aktionen waren Bestandteil vieler Bewegungen, die für die Rechte verschiedener Menschengruppen gekämpft haben. Die Suffragetten, Widerstandskämpfer:innen gegen den Nationalsozialismus, verschiedene Anti-Kolonialisierungsbewegungen sowie die LGBTQ-Bewegung nutzten Sachbeschädigung, Brandstiftung und andere Formen der Ökosabotage, um sich zu verteidigen, Druck auszuüben oder Menschen in Not zu helfen.
Die Suffragetten
Die Suffragetten (der Begriff stammt vom Englischen “suffrage”, Wahlrecht) haben im Kampf für das Frauenwahlrecht eine Vielfalt an Taktiken angewendet. Die WSPU – Women’s Social and Political Union – die von der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst 1903 gegründet wurde, agierte nach dem Motto "Deeds not Words" – Taten, nicht Worte. Angesichts einer Regierung, die Frauen das Wahlrecht auf unbestimmte Zeit verweigern wollte, entschied die WSPU, dass radikalere Formen des Protests notwendig sind, um Frauen das Wahlrecht zu garantieren. Die Aktivitäten der Suffrageten reichten von einfachem Vandalismus über Sabotage gewisser Einrichtung (z.B. Golfclubs) zu Brandstiftung (z.B. Häuser bekannter anti-feministischer Politiker). Suffragetten verursachten mit ihren – nur gegen Eigentum und nicht direkt gegen Personen gerichteten – Anschlägen Sachschäden in Millionenhöhe, der den Druck auf die Regierung erhöhte.8
Der Stonewall-Aufstand
Der Stonewall-Aufstand war eine Antwort von homosexuellen und transgender Personen auf eine polizeiliche Razzia der LGBTQ-freundlichen Bar “Stonewall Inn” und gilt als bedeutendes Ereignis in der Befreiungsbewegung für homosexuelle und transgender Personen. Homosexuelle und transgender Personen wurden 1969, als die Proteste stattfanden, systematisch unterdrückt – öffentlich gezeigte Homosexualität wurde unter Strafe gestellt und LGBTQ-Mitglieder sahen sich mit einer Reihe staatlicher Repressionen konfrontiert. Die Razzia im Stonewall führte zu einem wochenlangen Aufstand, bei dem Hunderte Vertreter von LGBTQ-Rechten in einer gewalttätigen Auseinandersetzung gegen die Polizei kämpften. Protestierende bewarfen Polizisten mit Steinen, befreiten Gefangene aus der Haft und versuchten die Bar anzuzünden.9
Anti-Kolonialisierungsbewegungen & Black Liberation Bewegungen
Das Civil Rights Movement in den USA sowie beispielsweise Indiens Freiheitskampf gegen die Kolonialmacht England waren untermauert von gewaltvollen Aktionen. Es ist fragwürdig, ob eine rein gewaltfreie Protestform zu sozialem Wandel für die besagten Gruppen geführt hätte. In den Geschichtswissenschaften wird zunehmend kritischer diskutiert, ob der Erfolg einer politischen Bewegung allein anhand einer strategischen Ausrichtung oder Strömung (z.B. pazifistischer Protest) bemessen werden kann. Dazu kommt, dass pazifistische Bewegungen genutzt werden, um ausserstaatlichen Protest zu diffamieren: Der Fokus auf den Pazifismus von Martin Luther Kings beispielsweise, als einziger Erfolgsfaktor für die Civil Rights Bewegung, und Malcom X Darestellung als Feind des Friedens und Spalter der Gesellschaft, sind historisch nicht akurat und gelten als “weiss gewaschen”. Die Porträtierung von King als anti-radikalen (was nicht der Realität entspricht) wird in der zeitgenössischen Politik zum Beispiel oft von weissen rechtskonservativen Personen genutzt, um militante Proteste Schwarzer Personen oder deren Sympathisant:innen zu diffamieren. King verteidigte und bevorzugte nicht-gewalttätige Taktiken, er wies aber – entgegen der herkömmlichen Auffassung – radikale Positionen auf und vertritt einen starken Anti-Kapitalismus und Anti-Neoliberalismus.10
Dies sind nur einige Beispiele einer Vielzahl ausserstaatlichen Protestformen, die dazu beigetragen haben, dass unterdrückte Gruppen von Menschen sich Rechte verschaffen konnten. Pazifismus als einzig wirksame Form des Protestes oder des Widerstands zu erklären, ist historisch verzerrt und nicht adäquat. Viele Bewegungen, die für eine Verbesserung der Verhältnisse bestimmter Menschen gekämpft haben, befolgten keine einheitliche, unabweichbare Taktik, um an ihr Ziel zu gelangen. Soziale Gerechtigkeitsbewegungen setzen sich meistens nicht aus einer binären Auswahl zwischen gewalttätigen und gewaltlosen Protestformen zusammen – sie sind viel eher eine Mischung davon.
2.) Alles andere als Terror: Tierbefreiungen und verdeckte Untersuchungen
Most normal people would find it unacceptable to see animals have the skin burned off them while they’re alive…to see primates that share the same DNA as humans, cut open while they are still alive day in and day out. I challenge anyone who sees this to go to a farm or a lab to see what happens. I challenge people to look at those videos. If you want to know why we do what we do it’s as simple as watching those videos. – ALF-Mitglied11
Die ALF ist der Überzeugung, dass die eigentlichen Akte terroristischer Handlungen nicht von Untergrundgruppen ausgeübt werden, sondern eine Antwort auf die Terrorisierung nicht-menschlicher Tieren sind. Die Verwendung illegaler Mittel ist notwendig, um auf die normalisierte Gewalt, Skrupellosigkeit und Gleichgültigkeit, die Milliarden von nicht-menschlichen Tieren weltweit entgegengebracht wird, zu reagieren.
While the American government and mainstream media have been fond of late of labeling every act of human and non-human liberatory effort as some form of terrorism, there is a far greater amount of terror being committed by hundreds of American citizens on a daily basis. Terrorizing and murdering non-human animals is not currently given much importance in our society, not unlike the lack of seriousness that attended the terrorizing and killing of people of recent African descent here in the recent past. Future generations will undoubtedly condemn our society for the callous way it has treated non-human animals with whom it has come into contact. – ALF-Mitglied11
ALF-Aktivist:innen argumentieren, dass direkte Aktionen der einzige Weg sind, um die Leben existierender Individuen zu retten. Es ist deshalb wichtig, wenn über ihre Aktionen gesprochen wird, die verschiedenen Aktionsformen der Gruppierung zu betrachten, die meistens nicht in Brandstiftung und enormer Sachbeschädigung, sondern in der Hilfeleistung nicht-menschlicher Tiere bestehen.12 Die Entwendung ausgebeuteter und misshandelter Tiere kann am einfachsten moralisch gerechtfertigt werden, obwohl auch ihr illegale Methoden zugrunde liegen. Ein Einwand gegen illegale Tierbeifreiungen über Besitzansprüche scheitert auf mehreren Ebenen. Erstens anerkennen anti-speziesistische Individuen die Einstufung von nicht-menschlichen Tieren als Besitz, Eigentum oder Sache nicht – genauso, wie wir nicht anerkennen, dass Menschen im Besitz anderer Menschen sein können. Zweitens ergibt sich aus der Gesellschaftsmoral, dass wir gewisse Tierbefreiungen aus schlechter Haltung als gerechtfertigt und notwendig ansehen. Wenn wir miterleben, wie eine Person einen Hund aus einem überhitzten Auto zu befreien versucht – und dazu das Fenster zerschlagen muss – bewerten wir mit hoher Wahrscheinlichkeit weder die Entwendung des Hundes als Diebstahl noch das Einschlagen der Fensterscheibe als Gewalt, sondern als Notwendigkeit, dem Hund das Leben zu retten. Da eingesperrte Tiere in Tierfabriken, Laboratorien oder in schlechter Haltung in Lebensnot sind und kein signifikanter Unterschied zwischen der Nothilfe eines im Auto feststeckenden und sterbenden Hundes und sogenannten “Nutztieren” gemacht werden kann, können Tierbefreiungen über das Konzept der Nothilfe bzw. der dringenden Hilfeleistung gerechtfertigt werden.
Das Bild zeigt die Befreiung eines Hundes in Little Oakhurst in Kent, UK. Die Besitzerin des Hundes, Tracy Middleton, wurde dank verdeckten Aufnahmen von Aktivist:innen wegen Tierqualärei verurteilt. Aktivist:innen dokumentierten zahlreiche tote, verletzte, hungernde und vernachlässigte Schafe in der Farm. Der Hund, der in einem kleinen Käfig ohne Futter und Wasser leben musste, wurde Tracy aber nach dem Gerichtsentscheid nicht abgesprochen. Deshalb mussten sich Untergrundgruppen einschalten und ihn selber befreien.13
23 Lämmer wurden in dieser Nacht von der Little Oakhurst Fram befreit. Die Aktion fand noch vor der Verurteilung von Tracy Middleton statt. Die Aktivist:innen hatten sich das Leid, das die Tiere ertragen mussten, genug lang mitangesehen und sahen sich gezwungen, jetzt zu handeln.14
Eine weitere strategisch wertvolle Aktionsform der ALF ist die heimliche Aufzeichnung von Tierausbeutung. Ohne Untergrundgruppierungen wären zahlreiche Gräueltaten, die in Tierfabriken und Laboratorien begangen wurden, verschleiert geblieben. Die Veröffentlichung solcher Aufzeichnungen beeinflusste auch die öffentliche Meinung und löste (oft legale) Massenproteste aus.
Eines der berühmtesten Beispiele ist die Publizierung der Befreiung des Bärenmakaken Britches durch ALF-Aktivist:innen. Britches wurde im Jahre 1985 in einem Labor der Universität California, Riverside, geboren und war zusammen mit 24 anderen jungen Affen Teil einer Studie von Dr. David Warren. Die Studie hatte zum Ziel, Erkenntnisse über die Auswirkung von Blindheit auf die Entwicklung von Kindern zu gewinnen.15 Im Rahmen des Versuches wurden die Affen kurz nach der Geburt ihrer Mutter entrissen und ihre Augen zugenäht. Personen, die von diesen Versuchen wussten, setzten ALF-Mitglieder in Kenntnis, worauf die Aktivist:innen in das Labor einbrachen und Britches, plus eine Reihe anderer Labortiere, befreiten. Anschliessend veröffentlichte PETA das von der ALF zur Verfügung gestellte Bildmaterial.16 Die Reaktionen auf das geleakte Video liessen nicht lange auf sich warten. Viele Menschen reagierten mit Empörung und Schrecken. Einerseits, weil die Aufnahmen die vielen körperlichen und psychischen Schäden, die Britches erleiden musste, zeigten und andererseits, weil sich der Grossteil der Bevölkerung gar nicht darüber im Klaren war, dass solche Tierversuche rechtlich geschützt sind.17 Die Veröffentlichung der Misshandlung von Britches brachte zudem ans Licht, dass die Forschenden Tierversuche einsetzten, obwohl diese nicht nötig gewesen wären: Um die Auswirkung von Blindheit auf die Entwicklung von Kindern zu untersuchen, hätten die Wissenschaftler blinde Jugendliche und Kinder aufsuchen können und anhand von Gesprächen und neurologischen Tests aussagekräftigere Daten erhalten – die für den Versuch verantwortlichen Forschenden waren aber angeblich nicht bereit, den zusätzlichen Aufwand auf sich zu nehmen, da es schwierig sei, “die Forschung in den Häusern der blinden Kindern inmitten von Routinearbeiten im Haushalt durchzuführen“.18
So wurde Britches im Labor aufgefunden. Seine Augen waren zugenäht. Der ALF freundlich gestimmte Tierärzte konnten die Fäden nach Britches Befreiung ohne nachhaltige Schäden zu verursachen, entfernen. Britches litt aber noch eine Zeit lang an den Folgen seiner physischen und psychischen Misshandlung.
Britches öffnete seine Augen. Im Alter von 5 Monaten wurde Britches in ein Reservat, das andere Affen beiheimatete, gebracht. Dort wurde er von einem Affenweibchen angenommen, die sich fortan um ihn kümmerte. Britches konnte dort den Rest seines Lebens verbringen und sich von seinem unschönen Start ins Leben erholen.
Selbst das American Council of the Blind übte starke Kritik an den Experimenten aus. Der Präsident des Rates, Dr. Grant Mack, nannte den Versuch «one of the most repugnant and ill-conceived boondoggles that I’ve heard about for a long time». Das Video erzeugte eine öffentliche Reaktion, die sich in Form von Kampagnen und Protesten kanalisierte. Der Druck auf die Laboratorien wurde so gross, dass Aktivist:innen es schafften, Reformen im Tierschutz zu erzwingen und gewisse Tierversuchsprojekte vollständig lahmzulegen.19
Britches Befreiung und seine Rehabilitation kann als Video angesehen werden:
ALF-Aktionen waren auch Mitauslöser und eine der wichtigsten Komponenten der SHAC (“Stop Huntington Animal Cruelty”)-Bewegung. Auch hier führte die Veröffentlichung verdeckter Videoaufnahmen aus einem Huntington Life Science Labor, die 1997 unter dem Namen “A Dog’s Life” auf Channel 4 TV in Grossbritannien ausgestrahlt wurden, zu einem Aufschrei in der Bevölkerung und dem Wunsch nach Handlungsbedarf. Das Video zeigt, wie Hunde im Labor vom Personal geschlagen und misshandelt werden und ihnen gewaltsam eine giftige Flüssigkeit in die Speiseröhre eigeführt wird, wonach die Hunde in ihrem Leid alleine gelassen und später getötet wurden.20
“A Dog’s Life” kann hier angeschaut werden:
Nur durch die Verwendung illegaler Mittel konnte die ALF die fehlende Transparenz in Laboratorien und Tierfabriken der Öffentlichkeit zugänglich machen. In ihrer Geschichte war die ALF im Stande, Tausende Individuen vor einem Leben endlosen Leides und einem gewaltsamen Tode zu ersparen, sie aus diesen Orten zu holen, zu rehabilitieren und ihnen ein Leben in relativer Freiheit zu geben.
Und was ist mit Sachbeschädigung? Eine Relativierung des Gewaltbegriffs
Die diskutierten Beispiele konnten einerseits zeigen, dass die ALF in der Bevölkerung nicht immer als gefährliche Terrororganisation aufgefasst wurde, sondern sie auch Rückhalt genoss. Sie zeigen andererseits, dass illegale Methoden zu nutzen, um das Leiden der Tiere transparent zu machen oder sie zu retten, von den meisten intuitiv weder als Gewalt- noch als Terrorakt interpretiert wird. Zuletzt stellt sich also die Frage: Was ist mit der Zerstörung von Eigentum und Sachbeschädigung? Gibt es einen Weg, diese Akte als legitime Formen des politischen Protestes aufzufassen?
[…] Sometimes when you just take animals and do nothing else, perhaps that is not as strong a message.21
Legitimer, illegaler Aktivismus wird meistens mit nicht-gewaltsamen Mitteln (Sitzblockaden, Demonstrationen, Boykotte etc.) identifiziert, während die Forderung nach Reformen durch physische Einwirkung auf Eigentum abgelehnt wird. Gewalt gegen Eigentum als Protest verfolgt das Ziel, mittels Beschädigung von Objekten Zwang auf eine Gegenpartei auszüben und eine Handlungsausführung oder -unterlassung zu provozieren. Gewisse Personen machen den “Gewaltteil” an Sachbeschädigung daran fest, dass die Wahrung von Eigentum als Recht definiert wird, dessen Nicht-Respektierung die Autonomie einer Person untergräbt. Andere sind der Meinung, dass der Zwang, der dabei ausgelöst wird, Gewalt konstituiert.22 Beide Begründungen sind nicht stichhaltig. Ich werde mich zuerst der zweiten zuwenden.
Wer Gewalt gegen Eigentum vor allem mit Zwang identifiziert, muss auch als nicht-gewalttätig geglaubte Protestformen als gewalttätig einstufen. Der Zwang beispielsweise, der durch eine Taktik ohne Sachbeschädigung ausgelöst wird, kann im Endeffekt derselbe sein, wie Zwang, der durch Vandalismus entsteht.
Sitzblockaden, auch wenn illegal, werden eher unwahrscheinlich als Gewaltakte klassifiziert, obwohl auch sie zur Anwendung kommen, um von einer bestimmten Instanz etwas einzufordern. Stellen wir uns vor, dass Aktivist:innen den Eingang einer Firma blockieren, die unethisches Verhalten (z.B. Kinderarbeit im Produktionsland) in ihrer Produktionskette fördert. Die Aktivist:innen fordern die Unternehmung auf, die Produkte, die aus der unethischen Praxis entstanden sind, mit solchen auszutauschen, die eine Fair-Trade Zertifizierung haben und garantieren, dass Menschenrechte eingehalten werden. Nehmen wir weiter an, dass die Firma durch die anhaltende und wiederkehrende Blockade keine Lieferungen entgegennehmen kann oder Kunden auf Alternativen ausweichen. Der ökonomische Schaden, der der Firma durch die Blockade entstanden ist, kann dazu führen, dass sie sich gezwungen sieht, den Forderungen nachzukommen, um weiteren Verlust zu verhindern.23
In diesem Falle sehen wir das Vorgehen der Aktivist:innen aber wahrscheinlich als gewaltlos an und befürworten es sogar, wenn die Unternehmung in Zukunft die Hände von Kinderarbeit lässt. Kann man die Legitimation von Sachbeschädigung (ein Pelzladen wird mit Spray vollgeschmiert, um Druck auszuüben) von Aktionen, wo keine Objekte beschädigt werden (Aktivist:innen demonstrieren täglich vor dem Pelzaden, um Druck auszuüben) angesichts des Zwangs, den sie beide auslösen, so einfach trennen? Das scheint vorerst schwierig zu sein.
Nun kommt die erste Interpretation des Gewaltbegriffes ins Spiel, die behauptet, dass Sachbeschädigung ein Gewaltakt ist, weil sie das Recht einer Person auf ihr Eigentum missachtet. Diese Interpretation ist aber noch unplausibler, da wir glauben, dass gewisse Rechte, wie das Recht auf Eigentum, nicht absolute Rechte sind, die niemals gebrochen werden dürfen, sondern nur prima facie („bis auf Widerruf”) gelten.24 Ich habe beispielsweise kein Recht darauf, die körperliche Integrität eines anderen zu verletzen, nur, weil ich das möchte, aber dieses Recht hört auf zu existieren, wenn mich diese Person körperlich angreift. Die Rechte anderer zu missachten, kann in gewissen Kontexten vielleicht sogar zu einer Pflicht werden: Es wird oftmals argumentiert, dass Menschen, die während dem Dritten Reich Sabotageakte ausgeführt haben – Gewalt gegen Eigentum oder gegen Nazis – nicht nur legitimiert dazu waren, sondern sogar eine Pflicht hatten, zu zerstören, zu sabotieren und gegen das Regime (und auch die Menschen darin) gewaltsam vorzugehen.25
Der Philosoph John Morreal hat ein weiteres intuitiv plausibles Argument für prima facie Rechte aufgeführt: Wenn wir einen Sklavenhalter in einen gewaltsamen Kampf verwickeln, um einem versklavten Menschen zur Flucht zu verhelfen, würden wir – sofern Rechte absolut sind – etwas moralisch falsches tun. Wir brechen mit dieser Handlung nicht nur ein Gesetz, das vorgibt, dem Sklavenhalter zu helfen, den versklavten Menschen zu fangen, sondern wir würden mit der Anstiftung eines Kampfes das Recht auf körperliche Integrität des Sklavenhalters verletzen.26
Es scheint aber so, als hätten wir das Recht, und wahrscheinlich sogar die Pflicht, dem fliehenden versklavten Menschen Nothilfe zu leisten und die vorherrschenden Gesetze zu missachten. Das prima facie Recht des Sklavenbesitzers auf körperliche Integrität wird in diesem Falle durch einen höheren moralischen Anspruch ersetzt, nämlich, dass Sklaverei unmoralisch ist und Menschen ein Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung haben. Es zeigt sich also, dass wir nicht alle Formen der „Verletzung“ prima facie Rechte anderer verurteilen.
Daraus lässt sich ableiten, dass Sachbeschädigung nicht zwingend mit Gewalt gleichgesetzt werden muss und nicht immer moralisch falsch ist. Man könnte beispielsweise behaupten: Wenn der Staat Gesetze aufrecht erhält, die unzumutbar, unterdrückerisch, gewalttätig und unmoralisch sind, habe ich das Recht, Sachbeschädigung als Taktik anzuwenden, da meine Handlung, diese ungerechten Gesetze zu verändern, einen höheren moralischen Anspruch hat, als das Recht auf Eigentum eines anderen. Einige weitere Spezifikationen sind nötig:
(1) Erfolgsfaktor(?) und Motivation: Man könnte behaupten, dass je grösser die Chance auf Veränderung aus der Sachbeschädigung, desto legitimer ist sie. Wenn ein Pelzladen, der wegen der zunehmenden Ablehnung von Pelz in der Bevölkerung sowieso schon finanzielle Verluste verzeichnet, mit Graffitis vollgeschmiert wird, kann die Sachbeschädigung zur endgültigen Schliessung des Ladens beitragen. Andererseits kann eine Aktion nicht legitim sein, wenn sie keinen Druck erzeugt und nicht in einen grösseren politischen Kontext (wie beispielsweise innerhalb einer Kampagne) verordnet werden kann. Wenn jemand beispielsweise ein Restaurant niederbrennt, das tierische Überreste serviert, ist es fraglich, ob diese Aktion einen langfristigen Effekt für die Tierbefreiung haben wird. Es ist aber nicht klar, inwiefern der Erfolgsfaktor als Grundlage für Legitimation beigezogen werden kann. Auch kleinere Delikte, die nicht kausal für Veränderungen verantwortlich sind, können legitim sein. Wenn eine Person beispielsweise ein Graffiti an der Hauswand eines Rassisten oder an Objekten, die zur Tierausbeutung verwendet werden, anfertigt, wird diese Beschädigung keinen signifikanten Einfluss auf systemischen Wandel haben – dennoch stellen sie aber einen Akt des Widerstandes dar und geben jemanden zu verstehen, dass sein Handeln falsch ist. Auch solche kleinen, nicht systemverändernden Aktionen können gesellschaftliche und symbolische Signifikanz haben und entlastend für gewisse Gesellschaftsgruppen sein (in einem streng autoritären und unterdrückenderischen Regime ein oppositionelles Graffiti zu machen, kann, obwohl es nichts an der Lage ändert, für zum Schweigen gebrachte Menschen oder heimliche Dissidenten eine positive Bedeutung haben, z.B. “ich bin nicht alleine, es gibt noch andere”, “sie können den Widerstand nicht komplett niederschlagen”).
Ein wichtigeres Kriterium ist deshalb, dass die Motivation, die hinter der Sachbeschädigung steht, die richtige ist. Der Einsatz von Sachbeschädigung, um politischen und ökonomischen Druck auszuüben, mag im Falle der Suffragetten oder Anti-Kolonialismusbewegung gerechtfertigt sein – gewaltvolle Proteste werden aber auch von religiösen Fundamentalisten, die beispielsweise Abtreibungskliniken und Spitäler zerstören, oder rechtsextremen Gruppierungen genutzt. Der Unterschied ist ein substanzieller: während die Kernüberzeugungen der ALF und anderen Gerechtigkeitsbewegungen in Schadensreduktion und Gleichheit bestehen, stammen Kernüberzeugungen von Anti-Abtreibungsgegner beispielsweise aus metaphysischen Annahmen und unwissenschaftlichen Schlussfolgerungen. Rechtsextreme Überzeugungen dagegen resultieren oftmals aus menschen- (und auch tier-)verachtenden Ideologien, die Gerechtigkeit und Fairness parteiisch interpretieren und nur gewissen Gruppierungen eine Bevorzugung oder ein Privileg erkämpfen möchten. Wir legitimieren “Gewalt” oder illegale Methoden deshalb nur, wenn der Zweck, den sie befördern soll, zu mehr unparteiischer Fairness und Gerechtigkeit führt.
(2) Die ausgeführte Gewalt an Eigentum muss in Relation mit der ausgeführten Gewalt an einer unterdrückten Gruppe gestellt werden. Es müssen Intensität und Dringlichkeit abgemessen werden. Sachbeschädigung oder “Gewalt” nur als letzten Ausweg zu legitimieren, ist schwierig, da wir nie wissen, wann wir den Punkt erreicht haben, wo wir zum “letzten Mittel” greifen dürfen. Die Geschichte der Tierbefreiungsbewegung zeigt, dass trotz zahlreicher Kampagnen und der Häufung veganer Produkte, keine Verbesserung in der Zerstörung speziesistischer Praktiken stattgefunden hat – im Gegenteil, es werden heute mehr nicht-menschliche Tiere denn je für menschliche Zwecke ausgebeutet und getötet. Wir haben keine leeren Käfige, wir haben besser versteckte. Das beängstigende und fast nicht greifbare Mass an Gewalt, das nicht-menschliche Tiere aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit angetan wird, kann ein Grund sein, weshalb verschiedene Taktiken angewandt werden sollten. Das bedeutet nicht, dass jede direkte Aktion, die Gewalt gegen Eigentum, Einschüchterung oder Drohungen anwendet, automatisch gerechtfertigt ist; vielmehr ist es aus taktischer Sicht sinnvoll, auf vielfältige und unterschiedliche Strategien zurückzugreifen – und Sachbeschädigung kann eine davon sein.
Although many groups and individuals fight animal oppression in legal ways, the stark fact is that every year, more animals are exploited, oppressed tortured and killed than the year before. Members of the ALF and other underground organizations feel that in order to truly liberate animals, the unjust laws that allow their exploitation must be broken. The ALF and other direct-action groups have a history of effectiveness, closing many businesses that exploited animals, hurting many more economically, and freeing tens of thousands of animals, who could spend the remainder of their lives free of torture and suffering. – Jerry Vlasak27
Kritische Anmerkungen zur Einordnung der ALF als Terrororganisation
Anonymität, die Nutzung ausserstaatlicher Formen des politischen Dissens sowie eine Ideologie, die zeitgenössische Formen kapitalistischer Praktiken und die Kommerzialisierung fühlender Lebewesen offen kritisiert, sind eine explosive Mischung, die Staat und Wirtschaft nicht begrüssten.
2001 wurde die ALF – als Folge der Zunahme militanter Aktionen – in den Vereinigten Staaten als inländische Terrorgefahr klassifiziert. 2006 folgte der Animal Enterprise Terrorism Act (AETA), der ein breites Spektrum politischer Aktivitäten im Namen der Befreiung nicht-menschlicher Tiere als Terrorakte ins Visier nimmt – auch wenn die Aktionen vollkommen gewaltlos sind und nichts mit Sachbeschädigung zu tun haben. All dies, obwohl seit der Gründung der ALF Anfang der 90er Jahre weder ein Mensch noch ein Tier durch eine ALF-Aktionen getötet oder schwerwiegend verletzt worden ist.
Animal torture is a business. We do not shut down businesses with petitions and annual protests. We shut them down by destroying their profits and creating the personal detriments that make it too costly for them to continue. We shut them down by preventing the next crop of abusers from ever reaching maturation. Over the last decade, we’ve repeatedly seen the establishment denounce the same actions as the abusers: blowing up a vivisector’s car, burning down a slaughterhouse, intimidating vivisection students into finding other pursuits, forcing local abusers to live with their own 24-hr security surveillance while keeping a close eye on their own spawn. These actions are called revolutionary. They are called effective! – Jerry Vlasak
Es ist nun wichtig, einige kritische Anmerkungen zum Terrorismusbegriff zu treffen. Erstens gibt es keine theoretisch einheitliche Definition des Terrorbegriffs. Was genau für ein Terrorakt konstitutiv ist, ist meistens eine ideologische Frage und von der Interpretation der Andwender:innen des Begriffs abhängig. Gemäss dem FBI beispielsweise, wird eine Handlung dann als terroristisch gewertet, wenn sie:
(A) für Menschenleben gefährliche Handlungen beinhalten, die eine Verletzung der Strafgesetze der Vereinigten Staaten oder eines anderen Staates darstellen (B) beabsichtigt zu sein scheinen (i) eine Zivilbevölkerung einzuschüchtern oder zu unter Zwang zu setzen;(ii) um die Politik einer Regierung durch Einschüchterung oder Nötigung zu beeinflussen; oder (iii) das Verhalten einer Regierung durch Massenvernichtung, Mord oder Entführung zu beeinflussen.28
Aktionen der ALF sind weder gefährlich gegenüber Menschenleben, noch fassen sie Taktiken wie Massvernichtung oder Anschläge auf Personen. Obwohl die ALF die Zerstörung von Eigentum implementiert, ist diese Zerstörung nicht wahllos auf Zivilsten gerichtet, sondern auf Einrichtungen oder Personen, die die Unterdrückung nicht-menschlicher Tiere vollziehen. Die Angriffe der ALF auf Tierfabriken sind Angriffe auf speziesistische Haltungen und den allgegenwärtigen Anthropozentrismus und sie stellen eine Gefahr für die kapitalistische Auffassung über den Wert von Eigentum dar. Direkte Aktionsbewegungen, die taktisch die Zerstörung von Eigentum als politischen Protest nutzen, werden vehement mit Repressionen belegt, weil sie die unethischen Folgen einer neoliberalen kapitalistischen Werteordnung aufzeigen. Dies ist vor allem aus dem Untergang der SHAC-Bewegung zu lernen; Trotz erschütternder Beweise von Tiermisshandlungen war der Staat nicht bereit, sich auf einen Diskurs über die speziesistische Unterdrückung nicht-menschlicher Tiere einzulassen, sondern er entschied sich dafür, die Bewegung niederzuschlagen und privatwirtschaftliche Unternehmungen, die von Tierleid profitieren, mit staatlichen Geldern vor dem Ruin zu retten.29
Wenn von der ALF als terroristischer Gefahr geredet wird, wird folglich auf ein Gewaltbegriff Bezug genommen, der Gewalt mit der Zerstörung von Eigentum gleichsetzt und nicht auf einen Gewaltbegriff, der die grossflächige Ausnutzung und physische sowie psychische Zerstörung nicht-menschlicher Individuen ins Zentrum stellt. Dieser Gewaltbegriff kann in Frage gestellt werden.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Beurteilung der Taktiken der ALF?
Mitglieder der ALF rechtfertigen die Anwendung von Vandalismus und anderen Formen des Eingriffs in Eigentumsrechte anhand relativierter Gewalt zu den Individuen, die sie schützen möchten. Die ALF handelt als Stellvertreter für nicht-menschliche Tiere und kann somit vom Konzept der Nothilfe Gebrauch machen. Was Tierausbeuter Tieren antun, ist Gewalt und wenn etwas “Gewalt” rechtfertigen kann, ist es die Vermeidung von Gewalt gegen Lebewesen, die systematisch unterdrückt, versklavt, ausgebeutet und ermordet werden.
“The basic premise is that if someone’s property is used to inflict pain, suffering, and death on innocent animals’ lives, then the destruction of that property is morally justified.” – David Barbarash30
Die in diesem Artikel vorgestellten Gedanken sollten einen Anstoss dazu geben, zu hinterfragen, was wir unter Gewalt verstehen und warum einige Formen der Zerstörung von Eigentum – solange niemand körperlich zu Schaden kommt – richtig sein können. Für Personen, die nicht Opfer systemischer Unterdrückung sind, ist es stets einfacher auf die vermeintliche Illegitimität “gewaltvoller” und illegaler Protestformen zu verweisen. Es sollte aber vermehrt danach gefragt werden, weshalb Personen nicht dazu befugt sind, sich mit illegalen oder “gewalttätigen” Methoden gegen ein System zu wehren, das ihnen immenses Leid und Ungerechtigkeit zufügt. Weshalb sollten Menschen und Stellvertreter:innen von Nicht-Menschen nicht dazu befugt sein, auf illegalem Wege gegen ihre Unterdrücker vorzugehen, wenn zeitgenössische Gesetze die Unterdrücker schützen und die Unterdrückten noch verletzlicher machen? Weshalb sollten die Hauptprofiteure von Tierleid, wie die Fleisch-, Milch- und Eierindustrie, Wissenschaftler:innen oder Modeunternehmen ihre Meinung über die gewinnbringende Ausbeutung von nicht-menschlichen Tieren ändern, nur, weil sie mit Argumenten konfrontiert werden?
Weshalb wird von denjenigen Menschen friedliche Taktiken, gewaltloses Vorgehen sowie der Respekt vor Eigentum oftmals eingehender gefordert, als die Gewalt verurteilt wird, die Individuen, Institutionen oder ganze Staaten einer Gruppe der Bevölkerung und fast allen nicht-menschlichen Tieren entgegenbringen? Wenn ein bestehendes Regime Praktiken toleriert, vielleicht sogar fördert, die Teile von (nicht-menschlichen und menschlichen) Bevölkerungsgruppen ihrer Grundrechte berauben, warum sollten diese Bevölkerungsgruppen oder ihre Vertreter immer Pflichten der Konformität, des friedlichen und legalen Vorgehens wahrnehmen müssen?
Ich kann keine abschliessende Antwort auf diese Fragen leisten – ich sehe sie aber essenziell für weitergehende Diskussionen an. Aktivist:innen, die für Grundrechte, Gerechtigkeit und Fairness einstehen, wenden Gewalt gegen Eigentum oder illegale Methoden nicht an, um zu unterdrücken. Militante Protestformen sind vielmehr ein Ausdruck von Frustration und dem Wunsch nach einer dringenden Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse.
“How can people in our movement have condemned the A.L.F.’s economic sabotage as violence whilst, for example, supporting Nelson Mandela during the ANC’s armed struggle? To do so is speciesist. The simple question is: “Is short-term violence justifiable in pursuit of a long-term peace?” I leave the answer to each individual’s conscience.” – Robin Web31
- Flashback Friday…!, in: North American Animal Liberation Press Office, https://animalliberationpressoffice.org/NAALPO/2016/12/02/flashback-friday/, Best, Steven, J. Nocella, Anthony, Terrorists Or Freedom Fighters? Reflections on the Liberation of Animals, New York 2004, S 20f.↩
- Vaughan, Claudette, Animal Soldiers – A rare and exclusive Interview with Ronnie Lee, in: Carmen4thepets, https://carmen4thepets.wordpress.com/2010/03/22/animal-soldiers-a-rare-and-exclusive-interview-with-ronnie-lee/↩
- Flükiger, Jean-Marc, The Radical Animal Liberation Movement: Some Reflections on Its Future, in: Journal for the Study of Radicalism, Bd. 2, Nr. 2, 2008, S. 111-132, hier S. 118f.↩
- Frei aus dem Englischen übersetzt aus: Frequently Asked Questions About the North American Animal Liberation Press Office, in: North American Animal Liberation Front Press Office, https://animalliberationpressoffice.org/NAALPO/f-a-q-s/#2 (zuletzt besucht am 02.10.2019).↩
- Lewis, John E., in: Federal Bureau of Investigation, 18.05.2004, https://archives.fbi.gov/archives/news/testimony/animal-rights-extremism-and-ecoterrorism (zuletzt besucht am 23.10.2019).↩
- siehe z.B. https://www.news.com.au/national/courts-law/glamorous-vegan-lingerie-model-to-plead-guilty-to-piglet-theft/news-story/2396797d35723222bc94479aba58dfe5↩
- Monagha, Rachel, Animal Rights and Violent Protest, in: Terrorism and Political Violence, Bd. 9, Nr 4, 1997, S. 106 – 116, hier S. 113., Milligan, Tony, Civil Disobedience, Protest, Justification and the Law, New York/London 2003, S. 120f., Young, Peter, Liberate, Stories & Lessons on Animal Liberation Above the Law, 2019, S. 105f.↩
- Purvis, June, Did militancy help or hinder the granting of women’s suffrage in Britain?, in: Women’s History Review, Bd. 38, Nr. 7, 2019, S. 1200 – 1234↩
- Steinmetz, Katy, Was Stonewall a Riot, an Uprising or a Rebellion? Here’s How the Description Has Changed—And Why It Matters, in: TIME, 24.06.2019, https://time.com/5604865/stonewall-riot-uprising-rebellion/, Ritschel, Chelsea, Marsha P Johnson: How the transgender-rights activist became a pioneer of the LGBT movement, in: Independent, 30.06.2020 https://www.independent.co.uk/life-style/marsha-p-johnson-google-doodle-transgender-rights-activist-drag-queen-lgbt-a9591731.html↩
- Huggins Cerissa, The Whitewashed Radicalism of Dr. Martin Luther King, Jr., in: RYTF, https://rytf.org/the-whitewashed-radicalism-of-dr-martin-luther-king-jr/, Joseph, Pendel E., The Sword and the Shield: The Revolutionary Lives of Malcolm X and Martin Luther King, New York 2020, West, Cornel, Martin Luther King Jr was a radical. We must not sterilize his legacy, in: The Guardian, 04.04.2018, https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/apr/04/martin-luther-king-cornel-west-legacy↩
- Bradley, Ed, Interview With ALF Cell Member, in: CBS News, 11.11.2005, https://www.cbsnews.com/news/interview-with-alf-cell-member/↩
- A.L.F. Behind the Mask: The Story Of The People Who Risk Everything To Save Animals, https://www.youtube.com/watch?v=FfKXq9BL29o↩
- @Unoffensiveanimal, Instagram, https://www.instagram.com/p/B8j3E1Wn0jm/↩
- @Unoffensiveanimal, Instagram, https://www.instagram.com/p/B7nx_vsJb11/↩
- University of California History, digital archives, Riverside: Administrative Officers, https://www.lib.berkeley.edu/uchistory/general_history/campuses/ucr/officers.html (zuletzt besucht am 03.11.2019).↩
- Franklin, Ben A., Going to Extremes for ‘Animal Rights’, in: The New York Times, 30.08.1978.↩
- Britches’ Story, http://www.britches.org.uk/story.asp, archiviert: https://archive.ph/hz3h (zuletzt besucht am 04.11.2019), Smitowicz, Jan, Britches: The Monkey Who Sparked a Movement, in: Progress for Science, 26.02.2013, https://progressforscience.com/britches/ (zuletzt besucht am 16.11.2019).↩
- Newkirk, Ingrid. Free the Animals, New York 2000, S. 288.↩
- Best, Steven, J. Nocella, Anthony, Terrorists Or Freedom Fighters? Reflections on the Liberation of Animals, New York 2004, S. 22f.↩
- It’s a Dogs Life by Zoe Broughton, http://www.icontactvideo.org/archive/itsadogslife (zuletzt besucht am 29.08.2020)↩
- McClain, Carla. ALF: A Secret Interview with a Compassionate Companion, in: No Compromise, März/April 1996, S. 12.↩
- Morreal, John, The Justifiability of Violent Civil Disobedience, in: Canadian Journal of Philosophy, Bd. 6, Nr. 1, 1976, S. 35-47, hier S.39ff.↩
- Prosch, Harry, Limits to the Moral Claim in Civil Disobedience, in: Ethics, LXXV, 1965, S. 104- 105.↩
- Morreal, John, The Justifiability of Violent Civil Disobedience, in: Canadian Journal of Philosophy, Bd. 6, Nr. 1, 1976, S. 35.↩
- MacFarlane, Leslie, Justifying Political Disobedience. Studies in Comparative Politics. London 1971.↩
- Morreal, John, The Justifiability of Violent Civil Disobedience, in: Canadian Journal of Philosophy, Bd. 6, Nr. 1, 1976, S. 35-47, hier S. 42.↩
- ALF, https://animalliberationpressoffice.org/NAALPO/2015/12/08/interview-with-jerry-vlasak-of-the-animal-liberation-press-office/↩
- GovInfo, https://www.govinfo.gov/content/pkg/USCODE-2009-title18/html/USCODE-2009-title18-partI-chap113B-sec2331.html↩
- Loadenthal, Michael, Activism, Terrorism and Social Movements: The “Green Scare” as Monarchical Power, S. 200ff.↩
- Villanuevo, Gonzalo, A Transnational History of the Australian Animal Movement, 1970–2015, Bochum 2018, S. 116f.↩
- Web, Robin, Staying on Target and Going the Distance: An Interview with U.K. A.L.F. Press Officer Robin Webb, in: No Compromis, Nr. 22, 2006, https://web.archive.org/web/20060623122808/http://www.nocompromise.org/issues/22robin.html↩